Schicht im Schacht

Nachtschicht bei den Schienenfräsarbeiten der MVG im Münchner Untergrund

Kurz nach 22:30 verlässt die letzte U-Bahn den U-Bahnhof Moosfeld, nach wenigen Minuten fährt ein Schienenfräszug ein: Ein gelber MG11 der Firma Linsinger, genannt Millhouse.

Mit seinen knapp 12 Metern Länge und seinem schmalen Lichtraumprofil schaut Millhouse ziemlich putzig aus. Dies ist der Nähe der Stromschiene, das ist die Stromzufuhr für die U-Bahn, zu den Gleisen geschuldet. Für die Fräsarbeiten ist die Stromschiene jedoch abgeschaltet, deswegen wird Millhouse mit einem Dieselmotor angetrieben. Im Fräsbetrieb sind so bis zu 600 Meter pro Stunde möglich.

Wieso werden Schienen gefräst?

Durch das wiederholte Überrollen der Schienen von den schweren U-Bahnen kommt es zu einer Rollkontaktermüdung, die Oberfläche der Schiene verhärtet durch den Rad-Schiene-Kontakt. So entstehen auf Dauer Risse, die sogenannten Head Checks. Diese werden weggefräst, damit sie nicht weiterwachsen und zu Materialausbrüchen führen.

Auf den oberirdischen Streckenabschnitten gibt es umwelteinflussbedingt zusätzlich etwas andere Schienenfehler als im Tunnel, z. B. Abblätterung durch Feuchtigkeit. Höhere Taktung und enge Bögen im Innenstadtgebiet im Tunnel führen ebenfalls zu Risswachstum. Daher sind die Bearbeitungsintervalle in etwa gleich, und zwar alle zwei bis drei Jahre. Andere Schienen- und Gleisbettinstandhaltungsmaßnahmen neben dem Fräsen sind Schleifen, Stopfen, Schienentausch und händische Weichenbearbeitung.

Am Ende des Bahnsteigs führt eine kleine Treppe ins Gleisbett, dann es geht weiter über einen stegähnlichen Weg neben den Gleisen. Auf dem Gleisschotter und den Schwellen kann man natürlich auch gehen, nur der Stromschiene besser fernbleiben. Gleich hinter dem U-Bahnhof eröffnet sich vor uns ein beeindruckenden, Kathedralen-artigen Hohlraum. Hier liegt die Weichenanlage, dank der Züge von einem Tunnel in den anderen Wechseln können. Heute Nacht wird Gleis 2 im linken Tunnel bearbeitet.

Während der Fräszug schon einmal in den Tunnel vorfährt und mit seiner Arbeit beginnt, steht Projektleiterin Sabine Hermann von den Stadtwerken München (SWM) zwischen den Schienen und erklärt, wieso sie nach den Schienenschleifarbeiten der vergangenen Jahre das Schienenfräsen testen: Schienenfräsen ist leistungsfähiger, es wird 1 mm auf einmal abgetragen statt 0,6 mm in mehreren Hüben, wie beim Schienenschleifen. Außerdem entstehen weniger Lärm und Staub. In diesem Jahr kommt dafür die voestalpine Railway Systems mit dem MG11 und führt die Schienenfräsarbeiten durch.

Direkt neben Millhouse fühlt man den Boden leicht vibrieren, es ist sehr laut und auch etwas wärmer. Ein Mitarbeiter sitzt im Führerhaus und überwacht auf vielen Bildschirmen den Ablauf. Etwa alle zwei bis drei Stunden muss der Fräskopf gewechselt und der Spähnebunker geleert werden. Ein weiterer Mitarbeiter überprüft mit der Taschenlampe das Gleis auf Glut, bei Bedarf ist auch ein Handfeuerlöscher dabei. Dieser kommt heute Nacht aber nicht zum Einsatz.

Damit nicht nur das Fingerspitzengefühl entscheidet, ob doch noch Risse oder andere Schäden in den Schienen sind, fährt hinter dem Fräszug ein Draisinen-ähnliches Fahrgestell zur Qualitätskontrolle. An diesem sind Wirbelstromsonden angebracht, damit kann 2,7 mm tief in der Schiene geprüft werden, ob noch Inhomogenitäten im Material sind. Stichpunktartig wird auch das Profil der Schiene überprüft. Bei tieferliegenden Schäden, die nicht einfach weggefräst werden können, muss das Gleis gewechselt werden. Schienenlängen von 10 bis 20 m können einfach über Nacht gewechselt werden.

Die Schienen hier wurden 1997 von ThyssenKrupp in Duisburg hergestellt. Es gibt drei Schienenhärten, und hier liegen die härtesten, das heißt die Mindestzugfestigkeit beträgt 1080 N/mm^2 und die Härte 337 HV. Der Werkstoff ist legierter Stahl mit 1% Chrom.

Ebenfalls aus Stahl aber nicht im ganzen Schienennetz aus dem gleichen Material sind übrigens die Stromschienen: die MVG steigt auf Aluminium um. Aluminiumschienen sind leichter, was den Einbau erleichtert und die Stromleitfähigkeit ist höher. Die Angriffsfläche der Stromschiene, an der der Stromabnehmer der Züge den Strom abzieht, ist weiterhin aus Stahl, da dieser widerstandfähiger als Aluminium ist. Es ist also eine Aluminiumstromschiene mit einer ummantelten Stahlplatte.

Nach etwa 1,5 Stunden hat Millhouse der Fräszug den knappen Kilometer bis nach Trudering geschafft und kommt in Trudering an. Die heutige Nachtschicht wird sich noch bis zum Kolumbusplatz vorarbeiten.

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