Ein Text über gendergerechte Sprache oder wie sehr die Frage „Boah, Maschinenbau studieren aber eigentlich nur Jungs?“ zeigt, was in den Köpfen der Leute bezüglich Gendergerechtigkeit verankert ist
Bei einem Experiment wurden Grundschulkinder gebeten, Personen zu malen, die Flugzeuge fliegen, bei der Polizei oder der Feuerwehr arbeiten. Bei den 75 Zeichnungen ist lediglich eine weibliche Person dabei (https://www.youtube.com/watch?v=QLrFPWpNU3A).
Dass die ersten Lebensjahre eines Menschen intensiv prägen, ist mittlerweile nicht nur allgemein bekannt, sondern auch wissenschaftlich bewiesen. Die Kindheit ist prägend für die späteren moralischen Vorstellungen. „Racism is not born, it is taught!“ ist ein Satz, der im Zusammenhang mit den Black Lives Matter Solidaritätsbekundungen immer wieder verwendet wird. Durch das Verhalten der Eltern lernen die Kinder und schauen sich einiges ab – besonders in jungen Jahren. Das kann man nicht nur in dem Video mit den Grundschulkindern beobachten. Genauso verhält es sich mit der Sprache. Auch sie prägt unsere moralischen Vorstellungen und beeinflusst unser Denken und Fühlen und somit auch unser Tun. Die Sprache ist der Grundstein unserer Kommunikation, unserer Vorstellung, unserer Gedanken und unseres Handelns und somit auch der Schlüssel zu einer Veränderung. Wenn wir unser Verhalten und unser Denken verändern wollen, müssen wir unsere Sprache ändern. Nicht nur bei Rassismus, sondern auch bei Geschlechtergerechtigkeit ist Bildung zu dem Thema ein erster wichtiger Schritt.
Jetzt ist das Ganze ein wenig wie die Frage mit dem Huhn und dem Ei. Entscheiden sich so wenige Frauen für Berufe bei der Feuerwehr oder der Polizei, weil sie es nicht möchten oder möchten sie es nicht, weil es ihnen anders vorgelebt wurde? Die Antwort ist sicherlich ein bisschen von beiden. Aber dass es Frauen gibt, die in dem Glauben aufgewachsen sind, dass eben diese Berufe nicht für sie geeignet sind, das ist traurig. Man nimmt ihnen die Freiheit, selber zu entscheiden, da man ihnen mit den Idealen und Lebensvorstellungen, die man ihnen schon als Kinder mit auf den Weg gibt, nicht alle Optionen offenlässt. Man kann sich nur frei für etwas entscheiden, wenn diese Option auch im eigenen Kopf existiert. Und dieser Gedanke, dass man aufgrund des Geschlechts etwas nicht machen darf oder soll, sitzt meist tiefer in den Idealen und Vorstellungen verankert, als man denkt. Und genau hier kann man ansetzen. Man kann diesen Leuten die Entscheidungsfreiheit geben. Auch dazu braucht es mehr als eine Änderung in der Sprache, aber diese ist ein Anfang.
Rollenklischées betreffen nicht nur Frauen. Wörter wie „(Sexual-)Straftäter“ stellen ein negatives Bild von Männern dar. Dass nicht nur das Geschlecht, sondern vor allem Erlebnisse in der Kindheit und die Zufriedenheit mit dem Leben Einfluss auf die Ausübung von Gewalt haben, legt dieses Buch wissenschaftlich dar: “Männer – die ewigen Gewalttäter? Gewalt von und gegen Männer in Deutschland” von Peter Döge. Wenn man „Rollenklischée“ googelt, handeln fast alle Beiträge davon, wie man sie aufbrechen kann und davon, dass sie schon damit anfangen, dass Eltern gefragt werden: „Wird es ein Mädchen oder ein Junge?“ [1]. Das Wort selbst beschreibt, dass man eine Rolle nachbildet/nachahmt [2]. Doch wie passt das in die heutige Zeit? Gar nicht.
Das dritte Geschlecht:
Im Dezember 2017 wurde das dritte Geschlecht – divers – in Deutschland eingeführt. Nun ist im Gesetzt verankert, dass in das Geburtenregister von den Eltern neben männlich und weiblich auch „divers“ eingetragen werden kann. Dieses dritte Geschlecht bezeichnet alle Menschen, die anhand ihrer Geschlechtsmerkmale nicht als Junge oder Mädchen einordbar sind, auch intergeschlechtlich genannt. Diese Eintragung können also nur Personen vornehmen, die ein Attest vorlegen, das nachweist, dass eine „Variante der Geschlechtsentwicklung“ vorliegt.
Das dritte Geschlecht ist also nur für Personen bestimmt, denen physisch kein Geschlecht zuordenbar ist.
Wenn ich erzähle, dass ich Maschinenbau studiere, ist die allererste Reaktion: „Boah, das studieren aber eigentlich nur Jungs?“. Die Menschen möchten damit vielleicht Bewunderung ausdrücken, doch diese ist in dem Moment fehl am Platz und zeigt, wie sehr Geschlechterklischées in den Köpfen der Menschen verankert sind. Abgesehen davon, dass ich diese oder ganz ähnliche Fragen bestimmt mindestens zweimal im Monat beantworte, wird deutlich, dass viele denken, dass nur Männer Maschinenbau studieren sollten und Frauen im Maschinebau ignoriert werden. Eine ehrlich interessierte Rückfrage zu meinem Themengebiet ist meiner Meinung nach die schönere und angebrachtere Reaktion. Denn dass Frauen in der Wissenschaft einiges vorangebracht haben, das haben nicht nur Marie Curie und Margaret Hamilton unter Beweis gestellt [3][4][5]. Die Intention in dem Satz ist vielleicht keine schlechte. Doch die Message, die damit vermittelt wird, ist es. Genau deshalb müssen wir umdenken. Die Fakultät Maschinenwesen der TUM gibt in “Zahlen und Fakten” eine Statistik über die Anzahl männlicher und weiblicher Studierenden im Maschinenbau raus [6].
Doch wie gendere ich richtig?
Das andere Geschlecht mitzudenken, funktioniert nicht. Das zeigen diese beiden Videos: https://www.br.de/mediathek/video/frau-buergermeister-frau-landrat-gender-streit-um-wahlzettel-av:5e4ef94ec529ff001ae24a61 und https://www.youtube.com/watch?v=044KC06Osnw. Ein weiteres Mal wird gezeigt, welchen Einfluss Sprache auf Kinder hat. Wenn also vor einem Text: „Im Folgenden wird die männliche Form verwendet, es werden aber alle mitgemeint“ steht, dann zählt das nicht als Gendern [7]. Ein vielleicht ganz interessantes Gedankenexperiment: Sind Männer mitgemeint, wenn man nur in der weiblichen Form schreiben und sprechen würde?
Doch wie wird richtig gegendert? Das ist gar nicht so schwer, wie man vielleicht denkt!
Verschiedene Möglichkeiten des Genderns:
– MitarbeiterInnen, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter/innen – diese Formen geben die binäre Vorstellung von Geschlechtern wieder
– Mitarbeiter*innen, Mitarbeiter_innen, Mitarbeiter:innen – das Gendergap macht alle Geschlechtsidentitäten sichtbar
– Mitarbeitende – auch diese Form macht alle Geschlechtsidentitäten sichtbar, diese Form ist allerdings nicht bei allen Wörtern umsetzbar
So gendert man übrigens nicht: „Im Folgenden wird die männliche Form verwendet, es werden aber alle mitgemeint.“
Im Folgenden möchte ich zwei Aussagen zur gendergerechten Sprache kommentieren.
“Gendern ist umständlich”
Veränderung ist nie bequem. Doch was wir manchmal vergessen, ist, dass sich Sprache schon immer geändert hat. Wörter wie „nice“, „googeln“ oder „Lauch“ haben in der deutschen Sprache einen Platz gefunden oder eine neue Bedeutung hinzugewonnen. Der Dativ dagegen verschwindet immer mehr. Der Duden ist deskriptiv, nicht präskriptiv. Das bedeutet, dass der Duden, aber auch die Academie Francaise und Real Academia Española, feststellen, wie die Sprache im Moment ist und sie nicht vorgibt. Diese Institutionen analysieren die Sprache der Menschen und nehmen auf, was von vielen verwendet und gesprochen wird. Sprache ist also lebendig und hat sich schon immer geändert – dank derer, die sie sprechen. Im Folgenden möchte ich ein paar Beispiele geben, bei denen gendern leichter ist als gedacht: [8]
- Jede*r → alle
- Keine*r → niemand
- Mitarbeiter*innen → Mitarbeitenden
- Lehrer*innen → Lehrkräfte
- Wähler*innen → Wahlberechtigte
- Zugang für Rollstuhlfahrer_innen → Rollstuhlgerechter Zugang
- Die Bewerber_innen müssen einen Antrag ausfüllen. → Für die Bewerbung muss ein Antrag ausgefüllt werden.
- Herausgeber*in → Herausgegeben von
Das Wort „Studierende” drückt eigentlich keinen Status aus (also als Student*in eingeschrieben zu sein), sondern die Tätigkeit in substantiviertem Partizip . Ein Leser liest grundsätzlich, ein Lesender liest gerade eben. Damit wird die grammatikalische Form eigentlich falsch verwendet. Wie wir aber bereits wissen, können wir Sprache ändern. Und wenn man als Student*in eingeschrieben ist – wann genau studiert man dann eigentlich nicht?
Ganz oft ist es auch so, dass Gendern nicht nötig ist, weil man zu einer bestimmten Person spricht, deren Geschlecht man kennt.
“Gendern ist blöd zu lesen”
Der Unterstrich und das Sternchen sind die sichtbarsten Formen des Genderns. Sich daran zu gewöhnen, braucht selbstverständlich Zeit, das passiert nicht von heute auf morgen. Manche haben vielleicht mal noch alte Bücher bei den Großeltern gefunden, in denen noch die altdeutsche Schrift verwendet wird. Für mich ist die nur schwer lesbar. Meine Großeltern können diese aber noch fließend lesen. Auch viele Fremdsprachen beinhalten Buchstaben oder Zeichen, die wir so nicht kennen. Auch diese müssen wir Stück für Stück lernen. Das bedeutet oft eine Bereicherung für uns.
Gendern ist mehr als das Gendergap
Gendern bedeutet nicht nur, alle Geschlechter in die Sprache miteinzubeziehen, sondern auch Wertschätzungs-Symmetrie, also Personen gleichwertig darzustellen. Oft wird dies nämlich zu einem unbewussten Instrument, Asymmetrien auszudrücken. Man sollte dieses Instrument bewusst und begründet einsetzen. Nennt man also eine Person namentlich, sollte auch die andere Person namentlich genannt werden:
„Professor Muster und seine Stellvertreterin kommen heute zu Besuch.“ Das ist ein Negativ-Beispiel. Auch die Stellvertreterin sollte namentlich genannt werden: „Professor Muster und seine Stellvertreterin Professorin Müller kommen heute zu Besuch.“ Sie tragen beiden den gleichen Titel. Möchte man also nicht bewusst die Hierarchie in der Sprache abbilden, sollte man Personen, die sowieso als einzelne Person erwähnt wird, mit Namen ansprechen. Vielleicht erwähnt man den Namen des Professors, eben weil es im Kopf das Bild von männlichen Professoren gibt. Gendern soll genau solche Bilder im Kopf aufbrechen.
In einer gendergerechten Sprache sollen auch keine Rollenklischées verwendet werden. Bezeichnungen wie „Milchmädchenrechnung“ oder „das starke Geschlecht“ fördern Vorurteile.
Auch Pauschalisierungen kann man einfach weglassen. Sätze wie „Lass mich die Kiste tragen, für dich als Frau ist das zu schwer“ sind in dem Zusammenhang nicht ganz korrekt. Der Satz impliziert, dass die Frau die Kiste auf Grund ihres Geschlechts nicht tragen kann. Höchstwahrscheinlich ist aber einfach der letzte Besuch im Fitnessstudio schon länger her und es gibt durchaus Frauen, die die Kiste ohne Probleme tragen können. Dass es anatomisch Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt, zeigen zum Beispiel die Weltrekorde im Gewichtheben. Bei den Männern liegt der Rekord im Stoßen bei 264 kg und bei den Frauen bei 193 kg [9]. Im Alltag sind diese Unterschiede meist kaum merkbar, weshalb man den Satz folgendermaßen umformulieren kann: „Ich helfe dir gerne beim Tragen, ich bezweifle aber nicht, dass du das alleine schaffen würdest.“ Dies stellt das Gentleman-Verhalten, dass manche Frauen durchaus attraktiv finden, und die gute Absicht dahinter in den Vordergrund und lässt die Aussage nicht herabschauend oder pauschalisierend wirken.
Wer sich noch mehr mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit beschäftigen will, sind folgende Webseiten, Artikel und Videos empfohlen, die den Umfang des Artikels sonst gesprengt hätten.
Warum die Welt für Männer berechnet ist:
https://www.funk.net/channel/strgf-11384/warum-die-welt-fuer-maenner-berechnet-ist-genderdatagap-strgf-1688534
Der Schwachpunkt der selbsternannten Sprachwächter:
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/politik/verein-deutsche-sprache-gender-petition-lewitscharoff-86986
Ich will nicht dafür bezahlen, dass ich eine Frau bin!
https://www.jetzt.de/gender/frauen-zahlen-oft-mehr-als-maenner?fbclid=IwAR31GmlzxUfQo3vf-pN4od_tWFWg1cD-lT4bBbGsP95OwASGPOybQnoft44
Gender Pay Gap:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/03/PD20_097_621.html
Gendergerechtigkeit in Ländern mit und ohne gegenderter Sprache
https://www.researchgate.net/publication/257663669
Wer lieber nackte Zahlen und Fakten sehen möchte, dem sind folgende Statistiken empfohlen:
Erwerbstätigkeit:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit/Tabellen/EWT-Corona-Bildung.html und https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Erwerbstaetigkeit
Verdienstunterschiede:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Verdienste/Verdienste-Verdienstunterschiede/Tabellen/lange-reihe-frueheres-bundesgebiet-1913.html
Zeit für Freizeitaktivitäten:
https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Einkommen-Konsum-Lebensbedingungen/Zeitverwendung/Tabellen/freizeitaktivitaeten-geschlecht-zve.html
Quellen
[1] https://www.t-online.de/leben/familie/erziehung/id_50623628/rollenklischees-in-der-kindererziehung.html
[2] https://www.duden.de/rechtschreibung/Klischee
[3] https://www.geo.de/wissen/21043-rtkl-weltfrauentag-zehn-wissenschaftlerinnen-die-sie-neben-marie-curie-kennen-sollten
[4]https://www.reddit.com/r/EngineeringStudents/comments/clapdq/a_new_grads_perspective_on_the_experiences_of/
[5] Styling, Spielzeug und Seehasen – und was die drei mit Wissenschaft zu tun haben
[6] https://www.mw.tum.de/fakultaet/zahlen-und-fakten/
[7] https://wienerin.at/gendern-stort-den-lesefluss-stimmt-nicht
[8] https://www.ejb.de/Dateien/Downloads/Landesjugendkammer/Beschluesse/2018-10-22-Leitfaden_zum_gendergerechten_Sprachgebrauch.pdf
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Weltrekorde_im_Gewichtheben
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