Professor Stahl und Herr Trübswetter im Gespräch
Reisswolf: Erst einmal eine kleine Einstiegsfrage: Wie haben Sie denn Maschinenelemente gelernt?
Professor Stahl: Also bei mir liegt das ja schon eine Weile zurück… Ich habe 1989 an der TU München angefangen zu studieren und musste damals noch mit Tusche zeichnen. Nach Schule und Bundeswehr war das das erste Mal, dass man mit echtem Maschinenbau zu tun hatte. Mir hat das wirklich gut gefallen. Da hat man seine Zeichnungen gemacht, so gut wie möglich beschriftet und mit den Klecksen gekämpft. Erst später kam Maschinenelemente, was mir ebenfalls fürchterlich viel Spaß gemacht hat. Endlich Getriebe, Zahnräder, Lager und Maschinen verstehen! In der Informatik-Vorlesung haben wir dann mit Fortran77 programmiert. Das war für mich nichts Neues, ich hatte als Schüler schon viel programmiert. Aber die Fächer waren vollkommen voneinander isoliert! Erst im Berufsleben habe ich die Zusammenhänge herstellen können. Diese Erfahrung war der Anstoß für meine Überlegungen, wie man diesen roten Faden durch die verschiedenen Disziplinen für alle Studierenden bereits im Bachelor sichtbar machen kann.
Herr Trübswetter: Bei mir liegen die Erfahrungen nicht ganz so weit zurück. Ich habe mein Studium 2009 hier an der Fakultät begonnen. In IT haben wir schon in C programmiert, nicht mehr Fortran77. Die Aufgabe war, einen Taschenrechner zu programmieren, und das hat sich bei mir geistig eingebrannt. Ich fand das furchtbar. Das war zwar eine schöne Knobelaufgabe, aber ich habe mich gefragt, was das mit Maschinenbau zu tun hat. Der Bezug hat mir komplett gefehlt. Bei CAD, Maschinenzeichnen und Maschinenelemente war das anders. Da war der Bezug klar erkennbar, aber die beiden Fächer hatten sehr unterschiedliche Schwerpunkte.
Reisswolf: Ich kann auf jeden Fall nachvollziehen, warum Sie diesen roten Faden im Studium weiter ausprägen wollen. Warum nehmen Sie dafür eine Seilbahn?
Professor Stahl: Vielleicht fange ich mit den Anforderungen an. Im Fach Maschinenelemente haben wir einen eingeschränkten Blick auf Anlagen. Wir brauchen große Wellen, Zahnräder, Lager, irgendwo eine Schmierung, ein Gehäuse und es sollte Leistung übertragen werden. Deshalb haben wir uns immer einen tatsächlichen Anwendungsfall ausgesucht und diesen dann adaptiert, damit die Inhalte der Vorlesung dargestellt werden können. Wenn Sie das jetzt übertragen auf Maschinenzeichnen, CAD und Informatik, dann hat jeder seinen ganz speziellen Blick und eigene Anforderungen. Daher brauchen wir etwas, das sehr komplex, sehr groß und sehr variabel ist. Sie können sich vorstellen, dass man allein eine Umlenkrolle von einem Lift in einer Übung sezieren, konstruieren und berechnen kann. Vielleicht macht man noch einen Sensor dran, der wieder in der Informatik berücksichtigt wird. Es gibt beliebig viele Möglichkeiten, verschiedene Disziplinen an vielen Stellen einer Seilbahn mit einzubeziehen. Je mehr man darüber nachdenkt, desto mehr Baustellen wird man finden, an denen man schön arbeiten kann. Das Schöne ist, es bleibt immer eine Identität, eine Seilbahn. Wenn man an einer Stelle Daten generiert, dann kann der nächste diese Daten an einer anderen Stelle wieder nutzen und beispielsweise in eine Steuerung implementieren. Das kann wiederum in einen Aktor zurückfließen. Wir können uns da sicherlich viele Jahre austoben.
Reisswolf: So eine Seilbahn ist sehr umfangreich. Werden die Studierenden jedes Teil durchlaufen oder fokussiert man sich auf bestimmte Komponente?
Professor Stahl: Wir haben diese riesengroße Anlage und jede Lehrveranstaltung wird sich etwas heraussuchen und das mit den Studierenden bearbeiten. Es werden nicht alle jede Schraube zu sehen bekommen. Das wäre vermessen und auch nicht sinnvoll. In der Firma ist das auch nicht anders. Es wird eine Kohorte geben, die sich mit der Seilumlenkung beschäftigt, die nächste mit dem Antrieb. Da gibt es viele Aspekte. Ähnlich wie im Unternehmen mit Teams und Schnittstellen. So werden wir das mit den Studierenden bearbeiten wollen.
Herr Trübswetter: Studienerfolg ist ein zentrales Element, das wir verbessern wollen. Dazu gehört, dass wir die Lernziele transparent vermitteln und dann auch in den Aufgaben unterbringen. Es bringt uns nichts, wenn wir Baugruppen oder Bauteile konstruieren, wenn die Lernziele der Lehrveranstaltung dadurch ins Hintertreffen gelangen. Die Maschine soll die Motivation bei den Studierenden erhöhen, indem wir einen Praxisbezug schaffen und uns eine Anlage aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen. Dadurch erhoffen wir uns mehr Studienerfolg und uns ist wichtiger, dass jede Studentin und jeder Student die Lernziele im Studium erfolgreich ablegt, als dass man eine sehr hohe Varianz bei den Bauteilen hat. Da darf man nicht zu sehr an die Maschine denken, denn diese ist ein Katalysator der Lernziele.
Da darf man nicht zu sehr an die Maschine denken, denn diese ist ein Katalysator der Lernziele.
Reisswolf: Wie sehen die Schnittstellen zu den anderen Fächern aus?
Herr Trübswetter: Das ist herausfordernd. Wir haben in Maschinenelemente letztes Wintersemester als Pilotprojekt eine Schnittstelle zur Vorlesung „Produktentwicklung – Konzepte und Entwurf“ (PKE) geschaffen. In PKE haben die Studierenden ein Konzept für eine Kartonfaltanlage erstellt und in Maschinenelemente konstruiert. Wir müssen natürlich als Lehrstuhl Hand anlegen, damit die Ergebnisse die Lernziele entsprechend treffen. Man hat gemerkt, wo es Kommunikationsschwierigkeiten gibt und daran können wir arbeiten. Es soll auch den Studierenden klar sein, dass die Kommunikation mit einem Maschinenbauer anders läuft als mit einem IT-ler. Wir wollen hier sensibilisieren und gute Voraussetzungen für das spätere Berufsleben schaffen.
Reisswolf: Ich habe damals auch PKE belegt und im Zuge dessen diese Anlage gemacht. Aber ich hatte schon ganz vergessen, dass es noch mit Maschinenelemente gekoppelt ist. Es ist spannend, da sich jetzt der Kreis zu schließen scheint und ein Loop entsteht.
Professor Stahl: Genau! Die Herausforderung ist, dass diese Loop einen Purzelbaum macht, also rückwärts läuft. Im ersten Semester fangen die Studierenden an mit Maschinenzeichnen. Nach der Modellaufnahme der fertigen Anlage werden die Zeichnungen angefertigt. Dagegen werden am Ende des Bachelor in IT und PKE eigentlich erst die Grundlagen dafür geschaffen. Die Herausforderung wird sein, den Studierenden transparent zu machen, dass sie den Produktentstehungsprozess im Curriculum praktisch rückwärts gehen. Und da sind wir überzeugt, dass die Anlage helfen wird, das sichtbar zu machen.
Eine Lebensweisheit: Man lernt und erreicht am meisten, wenn etwas Spaß macht. Wir wollen hier gemeinsam etwas schaffen, was den Lehrenden und Lernenden mehr Spaß macht und dadurch zu mehr Erfolg führt.
Reisswolf: Wird es im Verlauf auch ein Hands-on Ergebnis wie beispielsweise das Anlagenpraktikum in IT geben? Es ist immer sehr spannend, etwas zu programmieren und dann zu sehen, wie es sich bewegt.
Professor Stahl: Gerade Frau Professor Vogel-Heuser ist da sehr dahinter, das Projekt in einen Demonstrator zu überführen. Etwas zum Anfassen wollen wir unbedingt, aber wir können noch nicht sagen, wann es soweit sein wird. Möglich wäre beispielsweise, Demonstrator-Maschinenelemente im 3D-Druck herzustellen. Bis eine Demonstratoranlage steht, kann man sich natürlich behelfen, eine Exkursion zu einer bestehenden Anlage zu machen.
Reisswolf: Wird es für dieses Projekt Industriepartner geben? Wer steht da in Aussicht und wie wird die Kooperation laufen?
Herr Trübswetter: Wir sind bemüht, Industriepartner zu involvieren. Wir glauben, dass wir durch einen Industriepartner die Praxisnähe steigern können und damit auch die Motivation der Studierenden. Das Interesse von Industrievertretern ist da, aber die Details müssen noch ausgearbeitet werden. In der aktuellen Lage kann man auch schwer große Zugeständnisse wie beispielsweise eine Gondel auf dem Campus erwarten. Da müssen wir in erster Linie froh sein, wenn Knowhow geteilt wird. Wenn wir Zeichnungen oder Informationen zum Designprozess bekommen, ist das schon eine ganze Menge. Eine Exkursion im Bachelorstudiengang mit 500 Leuten ist sehr herausfordernd, aber Videos aus der Fertigung in der Lehrveranstaltung sind denkbar. Wir versuchen natürlich so viel wie möglich rauszuholen, was für die Studierenden interessant ist. Das gleiche gilt für die Hands-on Elemente. In der aktuellen Situation merken wir insbesondere bei der Online-Lehre, dass uns der Musterkoffer, ein Koffer mit Zahnrädern und Maschinenelementen zum Zusammenbauen, extrem fehlt. Wir sind natürlich dran, weil wir wollen, dass die Studierenden motiviert sind und dass sie ihren Erfolg und Ergebnisse sehen können.
Reisswolf: Ab wann wollen Sie das Projekt implementieren?
Herr Trübswetter: Unser Start ist das Wintersemester 2020/21. Am Anfang wird es aber noch nicht so sein, dass man direkt eine Steuerung für die Seilbahn programmiert. Wir werden erstmal Bezüge zur Anlage herstellen und die Lehrinhalte mit der Seilbahn verknüpfen. Die Umstellung muss in einem Tempo sein, dass sich auch jeder Lehrstuhl damit wohlfühlt, um mit Freude an der Sache dabei zu sein. Deswegen können wir jetzt nicht versprechen, dass nächstes Semester schon alles an dieser Anlage passiert, aber wir werden alles über die nächsten Jahre schrittweise ausbauen. Wir würden die Seilbahn dann in allen Lehrveranstaltungen ausrollen. Nächstes Wintersemester sind dann sowohl im ersten, dritten als auch im fünften Semester erste Bezüge zu sehen.
Reisswolf: Sind die Prüfungsleistungen, die für die verschiedenen Fächer erbracht werden, voneinander unabhängig?
Professor Stahl: Die Bewertung und die Erbringung der Leistung bleibt weiterhin isoliert, da gibt es keine Bezüge.
Herr Trübswetter: Wir hoffen, dass der Einstieg vielleicht dadurch erleichtert wird, dass man weiß, um was es geht. Wenn man zum Beispiel die Baugruppe im technischen Zeichnen schon gesehen hat, dann fällt die Programmierung in IT leichter.
Reisswolf: Worauf freuen Sie sich denn besonders in dem Projekt?
Professor Stahl: Ich freue mich am meisten darauf, wenn die Seilbahn als roter Faden im Bachelor sichtbar wird. Ich fände es toll, wenn auch wir Kollegen untereinander über Aspekte dieser gemeinsamen Anlage sprechen können, um die Schnittstellen und die Zusammenarbeit zu stärken, sowohl auf Lehrstuhlebene als auch mit Studierenden. Wenn vielleicht Studierende schon vor dem ersten Semester wissen, dass die Seilbahn kommt, und sich darauf freuen können, wird es ja sogar ein Anreiz für Studienbewerber.
Reisswolf: Wollen Sie den Studierenden noch etwas mitgeben?
Professor Stahl: Eine Lebensweisheit: Man lernt und erreicht am meisten, wenn etwas Spaß macht. Wir wollen hier gemeinsam etwas schaffen, was den Lehrenden und Lernenden mehr Spaß macht und dadurch zu mehr Erfolg führt.
Reisswolf: Das war ein schönes Schlusswort. Dann bedanken wir uns für das Interview.
Danke, klasse geschrieben