Autonome Fahrzeuge im ländlichen Raum – ist das sinnvoll?

Autonomes Fahren war lange Zeit ein futuristisches Konzept, das mehr aus Science-Fiction-Filmen als aus der Realität zu stammen schien. Doch in den letzten Jahren hat sich viel getan und autonome Fahrzeuge legen immer mehr Kilometer auf den Straßen zurück.

Besonders im Bereich des Ridesharings stehen wir vor einer Revolution, die die Art und Weise, wie wir uns fortbewegen, grundlegend verändern könnte. In diesem Artikel werden die Chancen von autonomen Mobilitätsdienstleistungen beleuchtet und ein Zusammenhang zu den Vorteilen für den ländlichen Raum hergestellt. Zunächst werden einige Begriffe definiert:

  • Ridesharing bezeichnet die klassische Mitfahrgelegenheit, bei der die Route durch eine Person oder Personengruppe vorgegeben ist und weitere Mitfahrer für die gesamte oder einen Teil der Strecke zusteigen können.
  • Beim Ridehailing wird ein Fahrzeug von einer Person oder einer Personengruppe über eine App bestellt. Der Start- und Zielstandort wird direkt vom Fahrzeug angefahren.
  • Ridepooling-Dienste können wie beim Ridehailing per App gebucht werden. Das Fahrzeug kann allerdings von mehreren unabhängigen Personen gleichzeitig für ähnliche Fahrstrecken genutzt werden. Durch geringfügige Abweichungen von der optimalen Routenführung wird die Auslastung eines Fahrzeugs erhöht [1].

Stufen des autonomen Fahrens

  • Level 0: Keine Automatisierung.
  • Level 1: Assistiertes Fahren Die Fahrerin wird in oder seitlich zur Bewegungsrichtung unterstützt.
  • Level 2: Teilautomatisierung Der Fahrer wird in und seitlich zu Bewegungsrichtung unterstützt.
  • Level 3: Bedingte Automatisierung Die Fahrerin greift notfalls ein.
  • Level 4: Hohe Automatisierung Steuerelemente in der Fahrzeugkabine, wie das Lenkrad und die Pedale entfallen. Der Betrieb des Fahrzeugs ist von äußeren Umständen, wie optimalen Witterungsbedingungen, abhängig.
  • Level 5: Volle Automatisierung Die Einschränkungen durch Betriebsbedingungen des Fahrzeugs entfallen und das System übernimmt die dynamische Fahraufgabe uneingeschränkt [2].

Die regulatorische Grenze für autonomes Fah-ren liegt in Deutschland seit dem 01.01.2023 bei Level 3 mit 130 km/h [3]. Mit einer Sondergenehmigung dürfen aber auch höher automatisierte Fahrzeuge in abgegrenzten Bereichen eingesetzt werden. Mitte Mai fand beispielsweise das Abschlussevent des Forschungsprojekts UNICARagil statt, bei dem vier autonome Prototypenfahrzeuge mit unterschiedlichen Einsatzzwecken vorgestellt wurden [4]. Eine Forschungsgruppe der TUM will mit einem Level-4-Fahrzeug 2024 auf dem Oktoberfest Personen transportieren [5] und MOIA — eine Tochterfirma von Volkswagen — will in Hamburg bis 2025 ein autonomes und international skalierbares Ridepooling-System entwickeln [6]. In einigen Städten in den USA gibt es bereits mehrere Anbieter, wie Waymo [7] oder Cruise [8], die autonome und vollelektrische Ridehailing-Fahrzeugflotten auf öffentlichen Straßen betreiben. Zoox — eine Tochterfirma von Amazon — befindet sich derzeit noch in der Testphase [9]. In China betreiben Baidu mit Apollo Go oder Pony.ai öffentliche und autonome Ridehailing-Mobilitätsdienstleistungen [10]. Wer schon heute autonome Mobilität erleben will, kann den Ridepooling-Dienst KelRide in Kelheim zwischen Regensburg und Ingolstadt testen. Das Forschungsprojekt läuft noch bis zum Ende des Jahres [11]. Auch in Bad Birnbach [12] und demnächst in München sind autonome Fahrzeuge Teil des ÖPNV. 12,7 Millionen Euro stellt der Bund zur Verfügung, um den hochautomatisierten Verkehr in München zu erproben. Für autonome Busse eignen sich hier Teststrecken in Freiham und im Olympiapark [13].

Warum sind autonome Fahrzeuge überhaupt sinnvoll?

Reduzierung von Verkehrsbelastung und Emissionen

Aus den Modellergebnissen einer Studie über die Region Stuttgart geht hervor, dass die Kombination eines autonomen Ridesharing-Dienstes, mit Bus und Bahn das größte Potenzial hat, das Verkehrsaufkommen zu reduzieren. Hierbei werden weniger als ein Zehntel der gegenwärtig verfügbaren Parkplätze benötigt und der Anteil der Zeit, in der Fahrzeuge nicht genutzt werden, wird von 96 % auf 64 % reduziert. Die Fahrzeuge werden im Tagesverlauf also neunmal länger genutzt [14, S. 58].

Wirtschaftlichkeit und Flexibilität

Durch die höhere Auslastung der autonomen Fahrzeuge im Ridesharing-Modell ist deren Nutzung im Vergleich zum privat genutzten PKW günstiger, da über den gesamten Lebenszyklus eine höhere Laufleistung erzielt werden kann. Dieser Effekt verstärkt sich, indem autonome Fahrzeuge in einem effizienten Ridepooling-Modell betrieben werden. Durch die Elektrifizierung des Antriebsstrangs können außerdem die Betriebskosten der Fahrzeuge gesenkt werden. Eine autonome Fahrzeugflotte, die aus mehreren Fahrzeugklassen besteht, kann für unterschiedliche Anwendungszwecke, wie den Personen oder den Warentransport eingesetzt werden.

Erhöhung der Sicherheit

Die meisten Unfälle im Straßenverkehr sind auf menschliches Versagen zurückzuführen [15]. Durch präzise Sensoren, eine hohe Rechenleistung und eine kurze Reaktionszeit können autonome Systeme die dynamische Fahraufgabe zukünftig garantiert sicherer bewältigen als der Mensch. Dadurch werden die Auswirkungen von Verkehrsunfällen entschärft und die Anzahl von Verkehrstoten reduziert.

Verbesserte Mobilität für ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Behinderung

Personen, die altersbedingt, körperlich oder psychisch nicht in der Lage sind, ein Fahrzeug zu steuern, sind in ihrer Mobilität besonders eingeschränkt. Ein autonomer Ridepooling-Dienst verbessert die Mobilität und bewahrt ihre Unabhängigkeit.

Flexibles Innenraumdesign und erhöhter Fahrkomfort

Da in autonomen Fahrzeugen ab Level 4 keine Elemente zur Steuerung des Fahrzeugs, wie das Lenkrad oder die Pedale, mehr erforderlich sind, kann der Innenraum flexibler als beim PKW gestaltet werden. Das Innenraumkonzept kann beispielsweise so ausgelegt werden, dass die Kommunikation der Passagiere untereinander gefördert wird. Das Infotainmentsystem muss nicht mehr dahingehend optimiert werden, dass die Fahrerin oder der Fahrer des Fahrzeugs nicht abgelenkt wird und das Fahrzeug kann mit Tischen ausgestattet werden, um komfortables Arbeiten während der Fahrt zu ermöglichen.

Vorteile von autonomen Fahrzeugen für den ländlichen Raum

Das Mobilitätsbedürfnis von Fahrgästen kann durch Ridepooling bedarfsgesteuert, fahrplanfrei und voll flexibel über eine Smartphone-App erfasst und zu effizienten Fahrten gebündelt werden. Die Automatisierung der Fahraufgabe ermöglicht die Wirtschaftlichkeit des Mobilitätskonzepts. Weniger dicht besiedelte Gebiete, in denen der ÖPNV nur einen geringen Teil der Bevölkerung erreicht, können im Vergleich zu Bus und Bahn günstiger erschlossen werden [16, S. 136].

Die Entfernungen zu Zielorten, wie Bildungszentren, medizinischen Einrichtungen, Einkaufspassagen und Kulturangeboten sind im ländlichen Raum verhältnismäßig groß. Fahrunfähige Personen sind deshalb besonders eingeschränkt und auf die Hilfe Anderer angewiesen. Mit einem autonomen Ridepooling-Modell kann eine serviceorientierte und durch die entfallenden Personalkosten auch kostengünstige Mobilitätsdienstleistung angeboten werden. Außerdem wird die Anzahl privat genutzter PKW reduziert, indem vor allem Zweitfahrzeuge durch das autonome Mobilitätsangebot ersetzt werden. Die Akzeptanz in der Bevölkerung und eine damit einhergehende hohe Nachfrage ist ausschlaggebend für den Erfolg dieses Mobilitätskonzepts [17].

Quellen

[1] M. unterwegs, „Was genau ist Ridehailing, Ridepooling, Ridesharing und Carsharing?”, https://muenchenunterwegs.de/information/was-genau-ist-ridehailing-ridepooling-ridesharing-und-carsharing, Zugriff: 19.04.2023

[2] SAE International, „Taxonomy and Definitions for Terms Related to Driving Automation Systems for On-Road Motor Vehicles: J1”, 2021

[3] Golem.de, „Autonomes Fahren in Deutschland mit 130 km/h erlaubt”, https://www.golem.de/news/mehr-geschwindigkeit-autonomes-fahren-in-deutschland-mit-130-km-h-erlaubt-2301-170873.html, Zugriff: 19.04.2023

[4] UNICARagil, „Das Projekt”, https://www.unicaragil.de/de/, Zugriff: 19.04.2023

[5] Merkur.de, „Mit dem selbstfahrenden Taxi auf die Wiesn: TUM stellt Projekte zu autonomem Fahren vor”, https://www.merkur.de/lokales/muenchen-lk/garching-ort28709/garching-tum-stellt-projekte-zu-autonomem-fahren-vor-92013739.html, Zugriff: 19.04.2023

[6] MOIA, „Die Transformation hat begonnen”, https://www.moia.io/de-DE/innovation, Zugriff: 19.04.2023

[7] WAYMO, „The World’s Most Experienced Driver™”, https://waymo.com/, Zugriff: 19.04.2023

[8] cruise, „Driverless is here”, https://getcruise.com/, Zugriff: 19.04.2023

[9] Zoox, „Safety—before, during, and after a crash”, https://zoox.com/journal/crash-testing/, Zugriff: 19.04.2023

[10] China Daily, „Robotaxis in Beijing open new chapter of intelligent transport”, http://www.chinadaily.com.cn/a/202303/27/WS6420dbcea31057c47ebb69ea.html, Zugriff: 19.04.2023

[11] KelRide, „KelRide führt autonomen, bedarfsgesteuerten ÖPNV-Service ein”, https://kelride.com/kelride-fuehrt-autonomen-bedarfsgesteuerten-oepnv-service-ein/, Zugriff: 19.04.2023

[12] Markt Bad Birnbach, „Autonomer Kleinbus“, https://www.badbirnbach.de/geschichten/autonomer-kleinbus, Zugriff: 14.05.2023

[13] Abendzeitung München, „Autonome Busse in München: Bund fördert Forschung mit 12,7 Millionen Euro“, https://www.abendzeitung-muenchen.de/muenchen/autonome-busse-in-muenchen-bund-foerdert-forschung-mit-127-millionen-euro-art-895463, Zugriff: 14.05.2023

[14] M. Friedrich und M. Hartl, „MEGAFON – Modellergebnisse geteilter autonomer Fahrzeugflotten des öffentlichen Nahverkehrs”, 2016

[15] NHTSA, „In 2016, NHTSA moved forward in our three lanes on the Road to Zero to save lives across America”, https://one.nhtsa.gov/nhtsa/accomplishments/2016/, Zugriff: 19.04.2023

[16] C. Liebchen, M. Lehnert, C. Mehlert und M. Schiefelbusch, „Betriebliche Effizienzgrößen für Ridepooling-Systeme”, in Making Connected Mobility Work, H. Proff, 2021, S. 135–150

[17] L. C. Johnsen und F. Meisel, „Potenziale und Herausforderungen autonomer E-Mobilitätsdienstleist-ungen in ländlichen Räumen”, in Making Connected Mobility Work, H. Proff, 2021, S. 723–735

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