Über Bildung und soziale Mobilität
Schon vor 600 Jahren hatten Hochkulturen wie die Azteken eine allgemeine Schulpflicht und steckten einen großen Teil ihrer Ressourcen in die Bildung und Ausbildung ihrer nächsten Generationen. Auch heute werden Politiker*innen aller demokratischen Parteien nicht müde, die Rolle der Bildung als soziale Aufstiegschance zu betonen. Die Idee: Bildung ist für alle gleich und wer sich nur genügend anstrengt, kann sich selbst eine ökonomisch privilegiertere Zukunft erarbeiten. Dass dabei die sozialen, ökonomischen und kulturellen Rahmenbedingungen vollkommen ignoriert werden, zeigt sich auf vielen Ebenen.
Dabei ist gerade die Bereitstellung von Bildungsressourcen an Menschen aus dem globalen Süden unsere historische Pflicht. Denn es waren die europäischen Kolonialmächte, die in vielen Regionen Afrikas, Amerikas, Asiens und Ozeaniens teils jahrtausendealtes Wissen zerstört, geraubt und die dortigen Bildungs- und Kulturstätten und -systeme vernichtet haben. Anstatt diese historische Verantwortung anzuerkennen und wirklich nachhaltige Bildungsstrukturen in den betroffenen Gesellschaften zu unterstützen, profitieren bei Kooperationen mit europäischen Partnern oft nur die Eliten und Nutznießer neokolonialer und autokratischer Stukturen.
Vor allem bei der Auswahl der Kooperationsprojekte der TUM International GmbH, einer Tochterfirma der TUM, zeigte sich in der Vergangenheit oft Elitarismus. Während die Projekte häufig als „empowering“ für marginalisierte Gruppen verkauft werden, profitieren im Konkreten doch eher wirtschaftliche Eliten der Kooperationsnationen. Die Problematik um die privatisierte neokoloniale Stadt Próspera in Honduras war schon in einer früheren Ausgabe Thema. Auf unsere Anfragen an die TUM und TUM International kamen hierzu bisher allerdings immer noch keine inhaltlichen Antworten.
Seit diesem Projekt hat sich TUM International neu orientiert, wohl auch auf Druck der Öffentlichkeit, auch wenn der damalige Geschäftsführer noch immer bei einer TUM-Organisation arbeitet. Doch bis heute sind die Projekte teilweise fragwürdig.
So etwa bei der New Usbekistan University (NUU) in Tashkent. Hier hilft die TUM International GmbH, eine präsidentiale Elite-Universität in Usbekistan aufzubauen. Usbekistan ist eine Öl- und Gasautokratie, in der extreme Ungleichheit und viel Diskriminierung herrscht. Auch wenn TUM International betont, dass das Projekt zur Demokratisierung des Landes beitragen soll, werden die künftigen Studiengebühren etwa das Vierfache des Median-Jahreseinkommens kosten. Anders gesagt: Die große Mehrheit der Bevölkerung müsste mehrere Jahre durcharbeiten ohne Geld auszugeben, um sich nur ein Studienjahr leisten zu können. Stipendien können zumindest manchen weiterhelfen, strukturelle Veränderung und ein breiter Aufstieg durch Bildung und die damit versprochene Demokratisierung ist durch solche Elite-Unis aber kaum möglich. Solche Projekte zementieren die Vorherrschaft ökonomischer Eliten, ihnen wird Bildung als Statussymbol verkauft. In vielen Ländern gilt eine Kooperation mit europäischen Unis als Qualitätsmerkmal – ein Geschäftsmodell, das die TUM International GmbH für sich entdeckt hat.
Das Unternehmen bietet außerdem einen sogenannten „Relocation Service“ an, bei dem es ausländischen Studierenden beim Ankommen und Einfinden in München hilft. Klingt gut, was ist das Problem? Die billigste Variante kostet 3900€. Selbst wenn man die Kosten für hierbei enthaltene Services wie Abholung bei der Ankunft, Semesterticket und SIM-Karte abzieht, ist dieser Preis absurd. Außerdem erfüllt der Service Funktionen, die es auch kostenlos an der TUM zu haben gibt: Sprachkurse, interkulturelles Training, Stadtführungen, Studienberatung. Sie werden nur als teures „Package“ zusammengestellt und an wohlhabende internationale Studis verkauft. Für nur 5900€ ist außerdem die Vermittlung einer Wohnung im Paket enthalten. Die Miete für die Wohnung liegt dann bei 870€. Das teuerste Paket kostet 7900€ und beinhaltet zusätzlich die vierwöchige Unterbringung in einem Hotel oder Apartment sowie Hilfe bei der Wohnungssuche. Hilfe beim Visum, der Aufenthaltsgenehmigung und einem Bankkonto kostet bei TUM International 990€. Solche Preise und Angebote machen deutlich, an welche internationalen Studierenden sich die Firma richtet. So ist es kein Wunder, dass sich neben der CSU auch die TUM für Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer*innen eingesetzt hat: Denn wer sich schon keine Studiengebühren leisten kann, kann erst recht nicht Kund*in der TUM International GmbH werden.
Daten
Gerade in weiterführenden akademischen Karrieren wird die Chancenungleichheit auch hierzulande sehr deutlich. So promovieren etwa 10% aller Akademikerkinder an der Uni – und nur etwa 1% der Nicht-Akademikerkinder. Viele Faktoren spielen schon sehr früh im Bildungssystem eine Rolle, wie die Möglichkeit, überhaupt auf eine weiterführende Schule und dann an die Uni gehen zu können. Ein anderer Faktor, der dazu beiträgt, ist die Unterbezahlung von studentischen Hilfstätigkeiten in Forschung und Lehre. Seit Oktober 2022 bekommen Studis ohne Abschluss, die als Hiwis oder Tutor*innen arbeiten, gerade einmal Mindestlohn. Mit Bachelorabschluss werden immerhin 13,60€ bezahlt. Dass man sich davon die Münchner Miet- und Lebenshaltungskosten nicht leisten kann, ist offensichtlich. Die Studentenwerke sprechen angesichts aktueller Zahlen des Statistischen Bundesamtes inzwischen von einer „dramatischen Notlage“ Studierender. Demnach sind 37,8% aller Studierenden armutsgefährdet, von den Studierende, die allein oder in WGs leben, sind sogar mehr als 75% armutsgefährdet. Dabei sind vor allem die Mietkosten ein großer Faktor. Viele Studis sind also inzwischen auf ein Einkommen neben dem Studium angewiesen. Ihnen werden akademische Tätigkeiten, die oft der Einstieg zu weiterführenden akademischen Karrieren sind, als Nebenjob verwehrt. Die Bezahlung in Werksstudijobs in der Industrie liegt oft mehr als zehn Euro pro Stunde über den Hiwi-Löhnen.
Die Niedriglöhne schließen so nicht nur ärmere Studis aus der akademischen Welt aus, es entgeht dem Bildungssystem auch fähiges Personal, das es sich einfach nicht leisten kann, an der Uni zu arbeiten. Langfristig kann ein solches Bildungssystem nicht gut funktionieren.
Durch steigende Mieten und Lebenshaltungskosten in den meisten Universitätsstädten werden aber auch schon vor der Studienwahl Menschen ausgeschlossen. Natürlich gibt es Wohnheime, Mensen und andere Dinge, die durch Institutionen wie das Studentenwerk unterstützend zur Verfügung stehen. Aber die Finanzierung des Studentenwerks und die Organisation von Wohnheimsplätzen ist zur Zeit schwierig, Wohnheimswartelisten werden schon seit Jahren immer länger. Durch fehlende Instandhaltung gingen erst vor kurzem hunderte Wohnheimsplätze verloren, die nun jahrelang renoviert werden müssen. Hier fehlen öffentliche Investitionen in Infrastruktur für die Bildung kommender Generationen, von denen die gesamte Gesellschaft etwas hätte.
Teile der TUM scheinen dem Slogan „Die unternehmerische Universität“ folgend auch direkte Bildungs- und Forschungsinfrastruktur nicht mehr als öffentliches Gut, sondern als Geschäftsmodell zu verstehen.
So hat ein Lehrstuhl in der Informatik das inzwischen weit verbreitete digitale Prüfungssystem TUM Exam entwickelt. Es vereinfacht die Prüfungskorrektur und -einsicht für Prüfende und Studierende enorm. Doch anstatt das System anderen Universitäten und Hochschulen für das gemeinsame Ziel des Bildungserfolgs zur Verfügung zu stellen, wird es privatisiert und kommerzialisiert. Für Universitäten und Hochschulen bedeutet das, sie können entweder ihre knappen Gelder für ein öffentlich entwickeltes System ausgeben oder mit eigenen Ressourcen ein weiteres System entwickeln. In beiden Fällen werden am Ende öffentliche Ressourcen verschwendet. Know-How und Geld muss mehrfach investiert werden, um die gleichen Probleme zu lösen anstatt einfach in Kooperation bereits funktionierende Ideen weiterzuentwickeln. Dazu kommt, dass TUM Exam auch mithilfe vieler Abschlussarbeiten von Studierenden entwickelt wurde. Deren Arbeit fließt nun in private Profite. Die öffentliche Bildungsinfrastruktur wird ausverkauft. Das ist Profitextraktion aus Bildungs- und Forschungssystemen.
Genau gegen diese Praxis und für mehr öffentlichen Zugang zu Forschungs- und Bildungsressourcen setzen sich Initiativen wie „Public Money – Public Code“ ein. Auch wenn an der TUM einige Lehrstühle bereits dieser Idee folgen und sowohl ihre Lehrinhalte als auch Forschungsdaten und Code komplett öffentlich zur Verfügung stellen, gibt es leider durchaus auch einen Trend zur Privatisierung von einst öffentlich entwickelten Ideen und Projekten.
Public Money Public Code
Die Initiative vertritt die Meinung, dass Systeme und Code, der mit öffentlichen Geldern finanziert wurde auch für alle öffentlich verfügbar sein sollte. Die Gründe dafür:
Einsparungen
Ähnliche Programme müssen nicht komplett neu programmiert werden.
Zusammen-arbeit
Bei großen Projekten können Expertise und Kosten geteilt werden.
Allgemeinwohl
Von der Allgemeinheit bezahlte Anwendungen sollten allen zur Verfügung stehen.
Innovationen fördern
Dank transparenter Prozesse müssen andere nicht das Rad neu erfinden.
Freie Software gibt allen das Recht, Programme für jeden Zweck zu verwenden, zu verstehen, zu verbreiten und zu verbessern. Diese Freiheiten stärken andere Grundrechte wie die Redefreiheit, die Pressefreiheit und das Recht auf Privatsphäre.
Auf verschiedenen Ebenen zeigt sich an der TUM oft ein Verständnis von Bildung, das nicht mehr das Gemeinwohl, sondern den Gewinn in den Vordergrund stellt. Das mag auch durch die fehlende Grundfinanzierung zustandekommen, die viele Parteien immer wieder versprechen, aber schon seit Jahrzehnten unzureichend ist.
Der Mehrwert von Bildung ist nicht der daraus extrahierte Profit, sondern die Bildung selbst. Ein Staat, der das nicht sieht sondern versucht, Universitäten in profitorientierte Unternehmen zu verwandeln, hat keine Zukunft.
Quellen
Studiengebühren:
https://www.migazin.de/2022/06/23/bayerncsu-will-studiengebuehren-fuer-auslaendischestudierende/
Relocation Service:
https://tum-international.com/de/relocationservice
StuWerke über Armut:
https://www.studentenwerke.de/de/content/armutsgefährdete-studierende-bundes
Exato Exam (früher TUM Exam):
https://www.exato-exam.de
0 Kommentare