Risiko? Nein Danke! Leben in einer technisierten, globalisierten Welt

Würdest du von einer Klippe springen – ohne vorher zu schauen, wie tief der Abgrund ist? Ob unten Wasser ist? Oder ob das Bungee-Seil sicher befestigt ist? Vermutlich nicht, denn bevor wir bewusst ein Risiko eingehen, bewerten wir meist intuitiv mögliche Gefahren, deren Eintrittswahrscheinlichkeit und deren Vermeidbarkeit. Ein Klippensprung ins Ungewisse wäre schlicht lebensmüde – das weiß unsere Intuition. Aber was machen wir, wenn sich Risiken und Gefahren nur schwierig bewerten lassen? Wenn Systeme zu komplex sind, um alle Folgen vorherzusehen?  Wie leben wir mit den unüberschaubaren Risiken unserer technisierten Welt?  

Seit jeher werden Technologien entwickelt, um unser Leben sicherer zu machen. Zugleich ist unser Bewusstsein für die Risiken neuer Technologien gestiegen, sodass wir uns heute oft unsicherer fühlen als früher. Diesem scheinbaren Widerspruch ist der deutsche Soziologe Ulrich Beck (siehe Foto) in seiner Forschung auf den Grund gegangen. Von Beck stammen schlaue Sätze wie: 

Quelle: welt.de

Es ist unwesentlich, ob wir in einer Welt leben, die tatsächlich oder in welchem Simme auch immer ‚objektiv‘ sicherer ist als alle anderen – die Antizipation von Zerstörungen und Unfällen verpflichtet zum vobeugenden Handeln.

Risiko bedeutet nicht Katastrophe. Risiko bedeutet die Antizipation der Katastrophe. […] Risiko ist eine Tatsache auf Abruf.

Um die Vermeidung von Risiken wird es im zweiten Teil dieses Artikels gehen. Für einen Moment bleiben wir aber noch bei Beck und unserem Leben mit dem Risiko.

Eine neue Art des Risikos 

Risiken sind in unserer technisierten, globalisierten Welt omnipräsent. Immer wieder passieren Unfälle und zuweilen auch verheerende Katastrophen wie die Explosion der Ölbohrplattform Deepwater Horizon (2010) und das Reaktorunglück in Fukushima (2011). Die Folgen dieser Katastrophen überschreiten räumliche Grenzen – Städte, Länder, Kontinente. Beck spricht daher von einer ‚Delokalisation globaler Risiken‘ und meint damit, dass globale Risken prinzipiell allgegenwärtig sind [1]. Sie lassen sich nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich nicht begrenzen. Ihre Folgen liegen oft weit in der Zukunft und lassen sich aufgrund komplexer Wirkungsketten nicht eindeutig nachvollziehen [1]. Das beste Beispiel dafür: der Klimawandel. 

Hinzu kommt die Unkalkulierbarkeit globaler Risiken. Unsere Welt ist so komplex, dass sich Risiken nur schwer abschätzen – geschweige denn quantifizieren – lassen. Die Unsicherheit über die Folgen neuer Technologien ist groß. Niemand weiß genau, wie sich die zunehmende Technisierung und Globalisierung auf unser Leben, die Gesellschaft und die Erde auswirken wird. Das Nicht-Wissen über mögliche Gefahren spielt bei der Risikobewertung daher eine zunehmend wichtigere Rolle. 

Globale Risiken sind allgegenwärtig, unkalkulierbar und nicht kompensierbar.

Nicht zuletzt sind globale Risiken nicht kompensierbarDer Klimawandel beispielsweise hat irreversible Folgen wie Artensterben und Gletscherschmelze. Ebenso verändert die Digitalisierung unser Leben auf unumkehrbare Art und Weise. In beiden Fällen können tiefgreifende Schäden auch mit mehr Wissen, Zeit und Geld nicht ohne Weiteres wieder rückgängig gemacht werden. Sie müssen verhindert werden, bevor es zu spät ist.  

Risikomanagement und Technikfolgenabschätzung 

In der Praxis lassen sich Schäden nicht immer vollständig vermeiden. Dennoch gilt es, Gefahren und andere unerwünschte Effekte bestmöglich zu reduzieren. Als Key Player in der Entwicklung neuer Technologien ist es nicht zuletzt unsere Aufgabe als Ingenieure sichere, wünschenswerte Produkte herzustellen. 

Um Risiken sinnvoll und erfolgreich zu bekämpfen, ist effektives Risikomanagement gefragt. Die Grundlage hierfür bilden die folgenden Schritte [6]:  

Schritt 1: Risiken erforschen, erkennen und analysieren
Schritt 2: Risiken beurteilen und bewerten
Schritt 3: Risiken vermeiden, reduzieren oder akzeptieren 

Anschließend müssen konkrete Maßnahmen ergriffen werden, um Risiken, die nicht akzeptiert werden, zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Dazu zählen z.B. Maßnahmen, die die Eintrittswahrscheinlichkeit senken oder das Schadensausmaß begrenzen.  Weiterhin sollte die Wirksamkeit von Maßnahmen nach der Umsetzung überprüft und Risiken kontinuierlich überwacht werden. (Mehr Infos zu den Schritten gibt es hier.) 

Das Ziel der Technikfolgenabschätzung: Risiken möglichst früh in der Entwicklung vorhersehen und vorbeugen.

Das wohl beliebteste Instrument zur Analyse und Bewertung technischer Risiken ist die Technikfolgenabschätzung (kurz: TA). Die TA hat viele Namen: Technikfolgenanalyse, Technologiewirkungsanalyse, Technikbewertung, Technology Assessment…
Sie alle verfolgen ein Ziel: Die Wirkung und Folgen von Technik möglichst früh in der Entwicklung vorherzusehen, um Risiken rechtzeitig zu entdecken und vorzubeugen [4]. Der Fokus liegt dabei auf den Folgen für Mensch und Natur. Das Ergebnis sind meist Handlungsempfehlungen, Gestaltungsmöglichkeiten und viele offene Fragen: Wie soll mit bekannten Risken umgegangen werden? Wie lassen sich Gefahren vermeiden? Welche Risiken sind akzeptabel? 

Katastrophen? Nein Danke! 

Um Risiken zu bewerten und gezielt vorzubeugen, müssen wir diese kennen und beschreiben können. Die Technikfolgenabschätzung beispielsweise dient eben diesem Zweck. Klassische Ansätze zum Risikomanagement basieren ebenfalls auf der Annahme, dass sich Risiken vorab identifizieren lassen (vgl. Schritt 1).  

Mit Blick auf Becks globale Risiken – allgegenwärtig, unkalkulierbar und nicht kompensierbar – stoßen klassische Ansätze des Risikomanagements an ihre Grenzen: Schwerwiegende, irreversible Gefahren müssen abgewendet werden, auch wenn diese Gefahren noch nicht endgültig nachgewiesen sind. Abwarten und nichts tun, bis alle Risiken umfassend erforscht sind, ist keine Option. Fundierte Hinweise auf eine Bedrohung genügen, um präventive Maßnahmen zu rechtfertigen [3]

Das Prinzip Better safe than sorry funktioniert in unserer globalisierten, technisierten Welt nicht mehr. Der Klimawandel und die Digitalisierung sind keine Entscheidungen, sondern Tatsachen. Die Frage ist nicht, ob wir bestimmte Gefahren eingehen, sondern wie wir mit vorhandenen Gefahren umgehen. Hinzu kommt die ständige Unsicherheit: Wie gehen wir mit Risiken um, die wir nicht kennen? Wie vermeiden wir Gefahren, die uns nicht bewusst sind? 

Manche sagen, die Bedrohungen durch den Klimawandel und die Digitalisierung seien real. Beck sagt: 

Risiken sind nicht real, sie werden real. In dem Augenblick, in dem Risiken real werden […] hören sie auf, Risiken zu sein, und verwandeln sich in Katastrophen.

Diese Katastrophen zu verhindern – das ist die Aufgabe modernem Risikomanagements. Unseren Beitrag dazu zu leisten – das ist unsere Aufgabe und Pflicht als Ingenieure. Wir brauchen neue Ansätze des Risikomanagements, um die globalen Risiken von heute und morgen erfolgreich zu bewältigen [2].  

Quellen 

[1] Beck, Ulrich (2007): Leben in der Weltrisikogesellschaft. In: Ulrich Beck (Hg.): Generation Global. Ein Crashkurs. Orig.-Ausg., 1. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Globalisierung, 3866), S. 57–73. 

[2] Giddens, Anthony (1999): Risk and Responsibility. In: Modern Law Review 62 (1), S. 1–10. DOI: 10.1111/1468-2230.00188 .

[3] Harremoës, Poul (2010): The precautionary principle in the 20th century. Late lessons from early warnings. London, Sterling, VA: Earthscan Publications. 

[4] Möhrle, Martin G.; Specht, Dieter (2021): Technologiefolgenabschätzung. Gabler Wirtschaftslexikon. 

[5] Posener, Alan (2015): Der Mann, der uns das Chaos aushalten lehrte. Online verfügbar unter https://www.welt.de/kultur/article135973356/Der-Mann-der-uns-das-Chaos-aushalten-lehrte.html .

[6] Windolph, Andrea (2020): Die 7 Schritte des Risikomanagements. Projekte leicht gemacht. Online verfügbar unter https://projekte-leicht-gemacht.de/blog/pm-methoden-erklaert/die-7-schritte-des-risikomanagements/. 

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