und warum wir ohne sie vielleicht keine Sprache hätten
Während Pilze für viele nur ein beliebter (oder unbeliebter) Bestandteil von Mahlzeiten sind, steckt hinter diesem Überbegriff ein breites Spektrum von Lebewesen, die sich nur schwer unter einem Begriff zusammenfassen lassen. Noch im Mittelalter glaubte man zumindest in Europa, dass Pilze gar keine Lebewesen sind, später rechnete man sie den Pflanzen zu. Heute ordnet man sie dem eigenen Reich der Pilze zu und weiß, dass sie genetisch sogar Tieren näherstehen. Mykologinnen – Pilzforscherinnen – haben aber aufgrund der hohen genetischen Diversität der Lebewesen kaum eine einheitliche Definition für Pilze. Sie lassen sich noch nicht einmal klar zu ein- oder mehrzelligen Lebewesen zählen, denn Pilze können beides sein. So reichen die Lebewesen, die wir als Pilze verstehen, von Schimmelpilzen über „gewöhnliche“ Waldpilze, Flechten bis hin zu einzelligen Hefepilzen, Pilzinfektionen und Zombiepilzen (dazu später mehr).
Sonne kann pilz nicht essen
Während die meisten Pflanzen Photosynthese betreiben, um an Nährstoffe zu kommen, sind Pilze auf organische Stoffe von anderen Lebewesen angewiesen, denn sie können kein Chlorophyll bilden. Anders als Tiere können sie sich allerdings auch nicht selbstständig fortbewegen. Ihre Nahrung erhalten sie deshalb oft aus dem Zersetzen von herumliegender organischer Materie wie toten Tieren oder Pflanzenteilen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Lebens- und Nährstoffkreislauf, denn sie machen die verwertete organische Materie wieder für andere Lebewesen verfügbar.
Pilzpartnerschaften
Wie so oft bei Pilzen gibt es hier Ausnahmen – einige Pilze haben Tricks, doch an Nährstoffe aus Sonnenlicht, Luft und Wasser zu kommen. Flechten sind Symbiosen, also Lebensgemeinschaften aus Pilzen und Algen oder Cyanobakterien. Sie wachsen häufig an Baumrinden und Steinen. Dabei sorgt der Partnerorganismus durch Photosynthese für Nährstoffe, während der Pilz ihn mit Pigmenten vor zu starker Sonneneinstrahlung und Austrocknung schützt. Viele Pilzarten existieren nur in dieser engen Symbiose, dafür aber an extremen Orten, etwa als erste Lebewesen nach einem Vulkanausbruch.
Gut connectet
Auch für viele Pflanzen sind Pilze lebensnotwendig. Ein Großteil aller Pflanzen, von uralten Bäumen zu kurzlebigen Gräsern, tauscht die durch Photosynthese gebildeten kohlenstoffhaltigen Moleküle gegen von Fungi aus dem Boden gesammelte Mineralien. Das griechische Wort Mykorrhiza ist eine Kombination aus mykes (Pilz) und rhiza (Wurzel). Zu den Mykorrhizapilzen zählen unter anderem die bekannten Steinpilze, von denen wir nur die Fruchtkörper ernten. In gesunden Waldböden gibt es aber weitläufige Netzwerke aus faserartigen Pilzhyphen, dem sogenannten Myzel, das oft hunderte Kilometer weit durch den Wald reicht. Das ist der eigentliche Pilzorganismus. Der größte bekannte Pilz in Oregon erstreckt sich über 10 Quadratkilometer und ist damit der größte Organismus der Erde. Er ist mindestens 2400 Jahre alt.
Mit solchen Netzwerken interagieren viele Bäume. Die Kooperation besteht in erster Linie aus einem Austausch von Nährstoffen: die Pilze reichern für die Bäume Nährstoffe wie Stickstoff, Kalium und Phosphat an den Wurzeln an. Besonders Phosphat ist im Boden oft in organischen Substanzen gebunden, welche die Pilze aufspalten können und so den Großteil des Phosphatbedarf der Bäume sättigen. Dabei ist der Austausch kein Einzelhandel, sondern vielmehr eine geteilte Ökonomie, in der alle Teilnehmenden von der Symbiose profitieren. Bäume geben etwa ein Viertel ihres produzierten Zuckers an die Pilze ab.
Es gibt allerdings seltsame Ausnahmen zu dieser Jahrtausenden alten Beziehung. Myko-heterotrophe (myko: Fungus, hetero-troph: von anderen Organismen ernährt) Pflanzen wie Monotropa uniflora oder Allotropa virgita werden ausschließlich von fungalen Netzwerken im Boden mit Nährstoffen versorgt. Ohne diese Netzwerke und ohne die mit ihnen verbundenen photosynthetisierenden Pflanzen könnten diese seltsam anmutenden Blüten nicht existieren.
Pilz-Internet?
Das Myzelgeflecht im Boden hat noch mehr Funktionen für Wälder. So können junge Bäume, die im Schatten ihrer Artgenossen nicht genügend Licht bekommen, von diesen über das Myzelnetz mit Nährstoffen versorgt werden. Dabei werden direkte Verwandte laut einer Untersuchung der University of Reading sogar bevorzugt. Und Bäume nutzen das Netzwerk wohl auch zur Kommunikation untereinander und können sich bei Angriffen und anderen Gefahren warnen. Wie sehr das allerdings auch in der Natur passiert, ist noch nicht genügend untersucht.
Recyclinghöfe des Lebens
Wenn die Bäume dann doch einmal ihr Lebensende finden, zersetzen zum Beispiel Shiitake, Zunderschwämme und andere Pilze das tote oder kranke Holz und machen sie wieder als Nährstoffe für andere Lebewesen verfügbar. Der Zunderschwamm hat seinen Namen im Übrigen daher, dass er als Zunder für Feuer und zum Transport von Glut verwendet werden kann, da er nur sehr langsam glimmt. Darüber hinaus kann der Pilz auch für Textilien, Schnaps und (mehr oder weniger sinnvolle) medizinische Anwendungen verwendet werden. Im Wald dient er als Nahrungsquelle für Insekten. Er soll – richtig zubereitet – sogar für Menschen genießbar sein, wie Shiitake und viele andere Pilze.
Pilze können sogar dabei helfen, Schadstoffe aus der Natur zu entfernen. Um etwa Erdölbestandteile oder krebserregende und giftige Stoffe wie Benzol oder Phenanthren aus verseuchten Gebieten loszuwerden, setzt man oft Bakterien ein. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung hat gezeigt, dass Pilzstrukturen dabei hilfreich sind. Die Myzel-Hyphen, die gesunde Böden durchziehen, dienen den Bakterien wohl als Infrastruktur, um zu den Schadstoffen zu gelangen. Auch viele Pilze selbst können Stoffe abbauen oder aus dem Boden ziehen, die für Menschen und Ökosysteme schädlich sind. Diese Prozesse werden immer mehr untersucht und lassen sich unter dem Begriff der Mycoremediation zusammenfassen – zu deutsch etwa Pilz-Wiederherstellung. Gerade bei Ölverschmutzungen und Schwermetallen könnten sie hilfreich sein.
Es gibt sogar Pilze, die Plastik zersetzen können. Forschende der Uni Sydney haben Pilze der Arten Aspergillus terreus und Engyodontium album auf Polypropylen (PP) angesetzt. Nach 140 Tagen war der Thermoplast vollständig abgebaut. Es gibt zwar bereits Mikroorganismen, die PET und andere weiche Plastikformen zersetzen können, doch diese Pilze kommen auch mit hartem Plastik wie PP zurecht.
Auch einige Stoffe der sogenannten ewigen Chemikalien, den PFAS, könnten von Pilzen in einem sehr langsamen Prozess abgebaut werden. Diese Stoffe werden weit verbreitet eingesetzt und einige von ihnen sind nachweislich krebserregend. Eine praktikable Möglichkeit, sie aus verseuchten Gebieten wieder loszuwerden, gibt es bisher nicht. In Bayern ist besonders der Landkreis Altötting belastet, wo der Chemiepark Gendorf die Chemikalien in die Umgebung gibt. Aufgrund der hohen Belastung dürfen sogar Blutkonserven aus dem Gebiet nicht mehr verwendet werden. Pilze könnten möglicherweise belastete Ökosysteme wiederherstellen.
Verdanken wir Pilzen unsere Sprachfähigkeit?
Die Stoned Ape-Hypothese ist eine kontroverse Theorie, die behauptet, dass die menschliche Sprachfähigkeit und kognitive Entwicklung durch den Konsum von psychoaktiven Pilzen, insbesondere der Gattung Psilocybe, beeinflusst wurden. Diese enthalten unter anderem den psychedelischen Wirkstoff Psilocybin. Diese Hypothese wurde von Terence McKenna aufgestellt, einem Ethnobotaniker und Schriftsteller.
Nach der Stoned Ape-Hypothese entwickelten sich die frühen Vorfahren des Menschen vor Millionen von Jahren in afrikanischen Savannen, wo sie Zugang zu psychoaktiven Pilzen hatten. Der Verzehr dieser Pilze führte zu veränderten Bewusstseinszuständen, die die kognitiven Fähigkeiten beeinflussten. Das Psilocybin könnte die frühen Menschen durch veränderte Gehirnaktivität dazu gebracht haben, abstrakter zu denken und komplexe Sprachkompetenten zu entwickeln. Hinweise darauf geben auch neuere Studien, die belegen, dass psychedelische Substanzen wie LSD bewirken, dass sogenannte semantische Netze stärker aktiviert werden, also bedeutungsähnliche Wörter stärker mental miteinander assoziiert werden. Menschen nehmen also abstrakte Konzepte wie Sprache, Logik und andere Strukturen bewusster wahr.
Das könnte den frühen Menschen einen kognitiven und kommunikativen Vorteil im Savannen-Habitat verschafft haben, in dem sie als physisch unterlegene Art ständig planen und kooperieren mussten, um an Essen zu kommen und nicht gefressen zu werden. Durch diesen evolutionären Vorteil könnten sich schließlich die komplexen Denkprozesse und Konzepte entwickelt haben, auf denen unsere heutige Kognition und Sprachfähigkeit fußt.
Die Stoned Ape-Hypothese ist jedoch bisher reine Spekulation und konnte noch nicht belegt werden. Die Komplexität der Entwicklung menschlicher Kognition macht es schwer, den Prozess nach Hunderttausenden Jahren noch nachzuvollziehen.
Fakt ist aber, dass ebendiese psychedelischen Pilze von Kulturen weltweit in spiritueller Praxis als höhere natürliche Kräfte verehrt und verzehrt werden. Die heutige Wissenschaft beschäftigt sich inzwischen immer mehr damit, wie diese Formen von Therapie etwa bei psychischen Erkrankungen helfen können. So werden Stoffe wie LSD und Psilocybin inzwischen für die Behandlung von Depressionen, Zwangsstörungen und mehr eingesetzt. Auch LSD ist übrigens das Produkt eines Pilzes, nämlich des Weizenpilzes Mutterkorn, einem Verwandten der Kernkeulen (siehe unten).
Zombiepilze
So verwerten Pilze zumeist tote organische Stoffe. Doch auch hier gibt es Ausnahmen: Pilze können auch parasitär sein und von Lebewesen zu Lebewesen weitergegeben werden. Ein besonders spektakuläres Beispiel hierfür ist der Ophiocordyceps unilateralis und andere Arten der Gruppe der Kernkeulen.
Diese Pilze befallen Insekten und sogar Spinnen und manipulieren ihr Verhalten. Sie bringen sie dazu, an einer geeigneten Stelle zu sterben, sodass die Pilze gedeihen und ihre Sporen weiterverbreiten können. Sie werden deshalb auch als „Zombie-Pilze“ bezeichnet. Von ihnen gibt es hunderte Arten, die jeweils auf bestimmte Insektenarten spezialisiert sind. Auf Menschen sind sie zum Glück – zumindest bisher – nicht spezialisiert. In der Serie und dem Spiel „The Last of Us“ geht es um eine Zukunft, in der genau das passiert.
Pilze und die Klimakrise
Von der Klimakrise bleiben auch Pilze nicht unberührt. Durch diese steigen die Temperaturen, global seit 1880 um 1,2K, in Deutschland sogar schon um mehr als 1,6K. Diese Veränderung geht auch an Pilzen nicht vorbei, die sich an die wärmeren Temperaturen anpassen. Bisher sind die meisten Pilze an Temperaturen unter 30 °C angepasst. Dadurch bleiben sie uns Menschen mit einer Körpertemperatur von weit über 30 °C ungefährlich. Passen sie sich nun aber an die wärmeren Umgebungen an, wird es vermehrt zu Pilzinfektionskrankheiten kommen. Dieser Effekt wird noch verstärkt durch die immer häufigeren Dürreperioden. Denn im Staub können sich Pilzsporen besser und weiter verbreiten und werden nicht durch den Regen weggewaschen.
Doch manche Pilze können nicht nur ein Problem, sondern auch Teil der Lösung sein. Durch ihren engen Nährstoffaustausch landet ein großer Teil des Kohlenstoffs, den Pflanzen durch Photosynthese aus der Luft fixieren, irgendwann in Mykorrhizapilzen. So zeigen Forschende aus Südafrika und den Niederlanden in einer Veröffentlichung aus diesem Jahr, dass jährlich etwa 13 Gigatonnen an CO₂-Äquivalenten in Pilzen gespeichert wird. Das sind rund 35 % des jährlichen Kohlenstoffdioxidausstoßes der Menschheit. Die Studie macht deutlich, dass auch gesunde Pilze ein wichtiger Faktor bei der Bekämpfung der menschengemachten Klimakrise sind.
Angesichts solcher Lösungen für Umweltverschmutzung und Klimakrise wird deutlich, dass das Aufräumen der schädlichen Hinterlassenschaften der Industrialisierung eine interdisziplinäre Aufgabe wird, bei der sich Ingenieurinnen mit Biologinnen wie Mykologinnen, Medizinerinnen, Soziologinnen und vielen mehr zusammentun müssen, um eine nachhaltig bewohnbare Erde sicherzustellen.
Pilze gehören zu den diversesten Lebensformen auf der Erde. Gleichzeitig sind sie aber mit am wenigsten erforscht: Es wird vermutet, dass es insgesamt etwa fünf Mio. Pilzarten gibt, von denen nur etwa 150.000 wissenschaftlich beschrieben sind, das sind gerade einmal 3 %. Zum Vergleich: es werden etwa acht Mio. Tierarten auf der Erde vermutet und die Menschheit hat schon mehr als zwei Millionen davon untersucht, also ein gutes Viertel. Die Mykologie hat also noch viele spannende Entdeckungen vor sich.
Quellen
- Mykorrhiza, Kommunikation und Adaption: Gorzelak MA, Asay AK, Pickles BJ, Simard SW. 2015. Inter-plant communication through mycorrhizal networks mediates complex adaptive behaviour in plant communities. AoB PLANTS 7: plv050; doi:10.1093/aobpla/plv050.
- Schadstoffabbau mit Pilzen: https://www.ufz.de/index.php?de=35659
- Plastik- und PFAS-zersetzende Pilze: https://www.watson.ch/wissen/science-news/692103814-plastik-fressende-pilze-sie-koennen-helfen-die-recycling-krise-zu-loesen
- Pilze als Kohlenstoffsenke: Heidi-Jayne Hawkins et al. Mycorrhizal mycelium as a global carbon pool. Current Biology. Volume 33, Issue 11. 2023. Pages R560-R573, ISSN 0960-9822, https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.02.027.
- Pilzinfektionen durch Klimakrise: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/pilze-infektionen-klimwandel-zunahme-100.html
- Sprache und LSD: Wießner I, Falchi M, Daldegan-Bueno D, et al. LSD and language: Decreased structural connectivity, increased semantic similarity, changed vocabulary in healthy individuals. Eur Neuropsychopharmacol. 2023;68:89-104. doi:10.1016/j.euroneuro.2022.12.013
- Psilocybin in der Behandlung von Depressionen: https://www.hopkinsmedicine.org/psychiatry/research/psychedelics-research.html
- Foto – Von Kernkeule befallene Fliege. Credit: Daniel Newman (Wikimedia Commons)
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