Zentralgebäude der Leuphana Uni Lüneburg

LCOY 2022

Das Zentralgebäude der Leuphana Universität

Die Conference of Youth ist eine Klimakonferenz, die ähnlich zur Weltklimakonferenz, der Conference of the Parties (COP), jährlich stattfindet und vor allem die Perspektiven junger Menschen in die Diskussion um Klimaschutz einbringen will. Sie wird von der Jugendorganisation des Klimaschutzabkommens der UN organisiert und findet in Form von „Local Conferences of Youth“ rund um den Globus statt. Dieses Jahr gab es insgesamt 85 LCOYs. Die LCOY Deutschland fand 2022 mit etwa 1000 Teilnehmenden an der Leuphana Universität Lüneburg statt. Unterstützt vom Bundesministerium für Klimaschutz, der BUNDjugend und dem Verein Klimadelegation fanden dort drei Tage lang zahlreiche Vorträge, Diskussionen, Workshops und vieles mehr statt. Die Teilnahme war kostenlos und nur Menschen unter 30 erlaubt.

Die Universität Leuphana wurde nicht ohne Grund ausgesucht: sie ist auf vielen Ebenen eine Vorreiterin, wenn es um Nachhaltigkeit und Klimaschutz geht. So gibt es zum Beispiel eine ganze Fakultät „Nachhaltigkeit“ und Studiengänge wie Global Environment and Sustainability Studies, Umweltwissenschaften, Sustainability Science und Psychology & Sustainability. Die Universität bezeichnet sich selbst als „Universität für die Zivilgesellschaft“ und lebt den demokratisch-gestalterischen Prozess auch auf dem Campus, der früher eine Kaserne war.

Im Zentralgebäude

Einige der alten Kasernengebäude sind inzwischen Studierendenwohnheime, anders als in Garching direkt am Rand des Campus. Der Campus selbst ist sehr fußläufig gestaltet. Ein ehemals versiegelter Exerzierplatz wurde in ein Ökotop verwandelt, in dem verschiedene Tier- und Pflanzenarten in ihren natürlichen Landschaften Platz finden. Das angrenzende futuristisch aussehende Zentralgebäude wurde von Daniel Libeskind, einem jüdischen Architekten, entworfen und nach ihm benannt. Libeskinds Eltern lebten während der NS-Zeit in der Stadt Łódź, die von Soldaten der Wehrmacht aus der ehemaligen Lüneburger Kaserne auf dem heutigen Universitätscampus angegriffen wurde.

Auch ökologisch ist das 2017 fertiggestellte Zentralgebäude futuristisch. Es wurde mit großem Fokus auf Energiesparen konzipiert. So kühlt es sich selbst passiv durch eine zur Sonne geneigte hinterlüftete Fassade. Für Toilettenspülungen wird das aufgefangene Regenwasser verwendet, die Dachflächen sind begrünt. Auch bei der Auswahl der Baumaterialien wurde auf CO2-Minimierung und andere ökologische Aspekte geachtet. Wärme und Strom sind auf dem Campus ohnehin komplett erneuerbar. Viele der ehemaligen Kasernengebäude haben Solaranlagen auf dem Dach. Zudem sind alle Räume mit CO2-Ampeln ausgestattet, um sie effizient lüften zu können.

Solaranlagen auf den Dächern der ehemaligen Kasernengebäude

Auch wenn an der Leuphana vieles schon sehr durchdacht und nachhaltig gestaltet ist, haben die Studierenden zum Teil harte Kritik. Im Rahmen der LCOY geben Menschen aus dem Umweltreferat des dortigen AStAs eine Kurzvariante ihrer regelmäßig stattfindenden „kritischen Campusführung“. So wurde zum Beispiel die neue Terrasse für die Mensa aus Tropenholz gebaut – für eine Nachhaltigkeitsuni ein Skandal. Zudem gebe es zu wenige konsumfreie Aufenthaltsräume auf dem Campus und beim Anlegen der Universitätsgelder werden Investitionen in die Rüstungs- und die Fossile Industrie nicht ausgeschlossen. Auch an der Erinnerungskultur auf dem ehemaligen Nazi-Kasernengelände gibt es Kritik. Und sogar der Bau des modernen Zentralgebäudes hatte das Abwandern einer seltenen Vogelart zur Folge. Da dieser Vogel am Boden brütet, waren die Ausgleichsgrünflächen auf den Dächern nutzlos. Es gibt also auch an der Leuphana noch viel Potential für mehr Nachhaltigkeit.

180 Workshops und Vorträge

Neben den vielen Möglichkeiten zum Austausch mit Lüneburger Studis gab es auf der Konferenz außerdem etwa 180 interessante Workshops und Vorträge.

Die Caféteria im Zentralgebäude

Eine Illustratorin stellte ihr Konzept der „Grünen Illustration“ vor. Mit durchdachten Illustrationen will sie die komplexen Prozesse hinter Klimawandel und Umweltverschmutzung begreifbar machen, Kritik an fossilen und zerstörerischen Systemen prägnant darstellen und Lösungen dafür aufzeigen. Kurzum: Haltung zeigen durch verantwortungsvolle Illustrationen.

Eine Studentin aus dem Bereich Abfall und Recycling der RWTH Aachen stellte den Prozess einer Ökobilanzerstellung vor und zeigte dafür nützliche Tipps, Werkzeuge und Datenbanken.

Auch zu Fördermöglichkeiten für nachhaltige Projekte gab es einen Workshop. Hier stellte eine Vertreterin aus dem Sportbereich vor, wie man Förderanträge schreibt und welche Institutionen verschiedene Förderungen ermöglichen können.

Der Waldgarten

Eine der interessantesten aber auch schockierendsten Veranstaltungen war von einer Gruppe Studierender, die einen Waldgarten auf dem Campus errichten. Waldgärten sind ein Konzept, um Waldlandschaft und Landwirtschaft zu kombinieren. Damit lassen sich pro Quadratmeter sogar höhere Erträge als bei konventioneller Landwirtschaft und eine bessere Biodiversität als im naturbelassenen Wald erzielen. Waldgärten ermüden außerdem weder Boden noch Grundwasser sondern erhalten den natürlichen Nährstoff- und Wasserkreislauf aufrecht. Durch gezielte Pflanzenkombinationen lassen sich bei gleichzeitig positivem Effekt auf Biodiversität, Klima und Stoffkreisläufe viel höhere Erträge erzielen. Mich schockierten hier vor allem die präsentierten Daten zur konventionellen Landwirtschaft. Es werden allein etwa 60% der landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland nur für Tierfutter verwendet, weitere 20% für Energie (Biomasse, Biofuels). Die wenigen Prozente, die für Nahrung verwendet werden, decken allerdings in vielen Bereichen schon einen großen Teil unseres Bedarfs. Mit Blick auf die Ernährung der Zukunft gibt es hier also noch ein riesiges Potential für nachhaltigere Entwicklungen.

Außerdem gab es Workshops zu sozialen Themen wie Dekolonialisierung und globale Klimagerechtigkeit, Mobilität, Effizienz und Glücksempfinden, oder Neokolonialismus. Auch naturwissenschaftliche Workshops und Vorträge gab es, etwa über Hochleistungsrechnen für die Erdsystemforschung, Biodiversität oder Ernährung und Landwirtschaft. Und natürlich wurde viel über Politik, Journalismus und Kommunikation gesprochen, sei es Datenschutz, Klimagesetzgebung, gewaltfreie Kommunikation, Protest- und Aktionsformen, Klimajournalismus und vieles mehr. Sogar einen Workshop zu nachhaltigerem Weinanbau mit pilzwiderständigen Sorten inklusive Weinprobe gab es.

Im großen Audimax der Leuphana sowie im Studi-Café fanden viele Diskussionsrunden mit Expert*innen aus Forschung, Politik, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zu verschiedensten Themen statt, darunter die grüne Transformation der Industrie, Ergebnisse und Erwartungen der Klimakonferenzen von Glasgow und Sharm El-Sheikh, Biodiversität, grüne Finanzpolitik sowie Religion und Klima.

Die Abschlussveranstaltung im Audimax

In einer Diskussionsrunde war die zentrale Frage: „Wie weit darf Aktivismus gehen?“. Es diskutierten Vertreter*innen von Fridays For Future, den Grünen und PETA sowie ein Wissenschaftler aus der Protest- und Bewegungsforschung. Themen waren die Sinnhaftigkeit und moralische Vertretbarkeit verschiedener Protestformen und die Effektivität von disruptiven Aktionen. Dazwischen wurde mit roten und grünen Karten immer wieder die Stimmung im Publikum aufgenommen.

Eine andere spannende Diskussion drehte sich um Wirtschaft ohne Wachstum. Hier beteiligte sich unter anderem eine Professorin für Nachhaltigkeit von der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung. Dabei ging es um neue Formen der Arbeitsorganisation, ein neues und nachhaltigeres Verständnis von Wohlstand und um De-Globalisierung. Ein zentraler Punkt: Nachhaltige Wirtschaft darf Wertschöpfung nicht als linearen Prozess sehen, sondern muss sie als einen Teil der natürlichen Kreisläufe gestalten. Die momentane Sichtweise mit der Natur als Quelle und Senke für Rohstoffe bzw. Abfälle funktioniert langfristig nicht. Auch die Notwendigkeit absoluter Grenzen bei Rohstoff- und Energieverbrauch sowie Emissionen wurde deutlich. Im Zuge dessen würde auch die Freiheit im Bezug auf Mobilität und Lebensraum für Minderverbraucher*innen zunehmen. Um das zu erreichen, wurden neue soziale Konzepte für Wohnen und Mobilität sowie eine Ökologisierung des Grundgesetzes mit Fokus auf Gemeinwohl und Klimagerechtigkeit diskutiert.

Die Vielfalt an Perspektiven aus verschiedensten Teilen der Gesellschaft in Kombination mit den Stimmen aus der Wissenschaft ermöglichte auf der LCOY einen ganzheitlichen Austausch über viele Themen. Trotzdem gab es auch Gruppen, die unterrepräsentiert waren, etwa MAPA – most affected people and areas – also die Menschen und Regionen, die am meisten unter der Klimakatastrophe leiden und leiden werden. Dennoch wurden hier viele Impulse für nachhaltigere Entwicklung gegeben und ein konstruktiver gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Austausch geschaffen. Etwas schade war, dass keine Forschenden der TU München dort vertreten waren, denn auch unsere Universität hat durchaus einiges zu bieten an Nachhaltigkeitsforschung, sei es zu erneuerbaren Energiesystemen oder zu nachhaltiger Stadt- und Landentwicklung. Vielleicht ergibt sich für die LCOY 2023 die Möglichkeit, Forschung der TUM in diesem Bereich vorzustellen und in die Diskussionen einzubringen.

Am Ende der Konferenz schließt ein Professor der gastgebenden Leuphana Universität seine Rede mit den Worten: Machen Sie sich nicht bequem! Seien Sie fordernd!

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