Hier sollte keine Werbung stehen

Warum Werbung nicht nachhaltig ist

Wir alle kennen Sie. Werbung ist aus unserem Alltag kaum wegzudenken. Dabei gäbe es gute Gründe, auf sie zu verzichten. Versuchen wir es also trotzdem einmal.

Wer in der Stadt unterwegs ist, kommt nicht um Werbung herum. Da sind die Schaufenster der vielen Geschäfte, Großplakate am Straßenrand und Litfaßsäulen an jeder Straßenecke. Doch seit einigen Jahrzehnten hat nicht nur die Menge an Werbung enorm zugenommen, sondern durch leistungsfähigere Displaytechnologie haben sich auch digitale Werbetafeln von Firmen wie Ströer und Wall durchgesetzt. Diese findet man vor allem in U- und S-Bahnhöfen sowie an Tram- und Bushaltestellen, jedoch auch immer öfter in Fußgängerzonen und am Straßenrand. Darauf finden sich oft Inhalte von öffentlichem Interesse, seien es Konzert- und Eventankündigungen, Informationen von Behörden, Stellenausschreibungen, Nachrichten oder Wettervorhersagen. Ein großer Teil aber ist Produktwerbung, von Erfrischungsgetränken wie Coca Cola (wer muss noch auf deren Existenz hingewiesen werden?) bis zum neusten Handy oder McDonald’s-Menü. Unsere Interaktion damit bewegt sich dabei meist irgendwo zwischen ignorieren und leicht genervt sein.

Initiativen wie „Berlin Werbefrei“ und „Hamburg Werbefrei“ fordern nun wegen des hohen Energie- und Ressourcenverbrauchs sowie der schädlichen Wirkung auf Menschen und Tiere klarere Regeln für Werbung in der Öffentlichkeit [1]. Doch sehen wir uns erst einmal genauer an, wie viele Ressourcen wirklich von der Werbeindustrie verschwendet werden und welche Folgen leuchtende Werbetafeln für Mensch und Umwelt haben können.

Die Purpose Disruptors, eine Gruppe von Arbeiter*innen aus der Werbeindustrie, will die Macht der Werbung nutzen, um den Klimawandel zu bekämpfen [2]. Sie haben errechnet, dass der Effekt von Werbung die CO2-Emissionen eines Menschen im Vereinigten Königreich um etwa 28% erhöht. Anders gesagt: Werbung ist für ein gutes Fünftel aller Emissionen verantwortlich. Die Kritik: Werbung sorgt dafür, dass Menschen Dinge kaufen, die sie nicht brauchen und hinter denen meistens klima- und umweltschädliche Produktionsketten stehen. Sie wollen daher einen Wandel von innen erwirken, sodass die Macht der Werbung genutzt werden kann, um klimafreundliche und konsumreduzierende Effekte zu erzielen.

Momentan sorgt die Werbeindustrie allerdings für Konsumsteigerung, also genau den Mechanismus, durch den unser aktuelles Wirtschaftssystem die Klimakrise und andere ökologische und soziale Schäden verursacht. Werbung kann vielleicht ihren Teil dazu beitragen, das zu ändern. Dazu müssen sich jedoch nicht nur die Inhalte und Finanzierungsstrukturen, sondern auch die physischen Werbemedien ändern. Denn die beiden Werbeformen, die zur Zeit am stärksten zunehmen – digitale Außenwerbung und Onlinewerbung –, bringen einige inhärente Probleme mit sich.

Zunächst das Offensichtliche: Onlinewerbung und digitale Werbetafeln, aber auch analoge, hinterleuchtete Plakate, verbrauchen Strom und davon nicht wenig. Allein eine beidseitige Bildschirmwand mit 2 m2 Fläche, wie es sie an Bus-haltestellen und Bahnhöfen oft gibt, verbraucht nach Angaben der Betreiberfirmen den Strom von zehn Ein-Personen-Haushalten, nämlich etwa 1,8 kW. Der Strom, den ein solches Display in einer Stunde verbraucht, genügt, um mit einem E-Auto 12 km, mit einem E-Mofa 36 km oder mit einem E-Bike fast 260 km weit zu fahren, also etwa von München bis Pilsen in Tschechien.

Pro Jahr sind das bei ganztägigem Betrieb fast 16.000 kWh [1]. Hochgerechnet auf die deutschlandweit etwa 135.000 Screens entspricht das dem Stromverbrauch einer Großstadt.

Online-Werbung ist noch energieintensiver: Sie ist laut Wall Street Journal [4] direkt für 1% des globalen Energieverbrauchs und der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Das entspricht in etwa den gesamten CO2-Emissionen des Vereinigten Königreichs. Hierbei ist der klimaschädliche Effekt auf das Konsumverhalten noch nicht einberechnet, der um ein Vielfaches höher liegt.

Werbe-Mails und Newsletter sind hier auch ein großes Problem. Ein Mensch in Deutschland erhält im Jahr durchschnittlich um die 3000 Werbe-Mails, von denen fast 2900 ungeöffnet bleiben [5]. Dabei ist das Versenden und Speichern von Mails sehr CO2-intensiv, es müssen schließlich die Mail-Server durchgehend betrieben werden. Werbemails löschen und Newsletter abbestellen kann deshalb einen großen Effekt auf die CO2-Bilanz haben: Würden nur alle Menschen in Deutschland ihre gesamten unnötigen Mails löschen, könnten pro Jahr um die 1,6 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, in etwa der Ausstoß einer 170.000-Einwohner-Stadt [5]. Vor dem Hintergrund, dass über 50% der Onlinewerbung so gut wie wirkungslos ist – unter anderem weil die Klickzahlen durch Bots künstlich hochgetrieben werden – stellt sich die Frage, ob dieser massive Energieaufwand gerechtfertigt ist.

Darauf kann sich allerdings kaum verlassen werden. Immerhin besteht mehr als die Hälfte der weltweit täglich versandten 319 Milliarden Mails aus Spam [6]. Dieses Riesenproblem individuell durch Löschen von Mails lösen zu wollen, ist unrealistisch, hier braucht es gesetzliche Regelungen. Der Haken bei Website-Anmeldungen sollte beispielsweise standardmäßig nicht bei „Newsletter abonnieren“ sondern bei „Newsletter ablehnen“ gesetzt sein. Diese sogenannten „Dark Patterns“, bei denen Faulheit und Gewohnheit von Nutzer*innen ausgenutzt wird, will die EU-Kommission ohnehin bald verbieten.

Bei leuchtenden Werbetafeln kommt der Effekt auf Verkehrsteilnehmende hinzu. Autofahrende sind von einer digitalen Werbetafel am Straßenrand etwa 2,4 Sekunden abgelenkt [1]. In dieser Zeit fährt ein Auto bei 50 km/h etwa 33 Meter, bei 30 km/h immer noch fast 20 Meter. Nachdem unsere Städte immer noch stark von Autoverkehr und großen Straßen dominiert sind, kann man sich die Auswirkungen für die Verkehrssicherheit denken.

Auch für andere Tiere sind die Bildschirme gefährlich. Viele Insekten wie Nachtfalter sterben oft schon an Straßenlaternen, die Werbetafeln sind um ein Vielfaches heller und steigern die Lichtverschmutzung enorm. Ihr bläuliches Licht lockt die Insekten an, die dann vor Erschöpfung sterben und als Futter für Vögel, Fledermäuse und Amphibien fehlen [3]. Auch die Orientierung von Vogelschwärmen und vielen anderen Tieren wird durch die massive Beleuchtung von Städten extrem gestört. Forschende sehen die Lichtverschmutzung inzwischen sogar als eine der Hauptursachen für Artensterben an [7,8].

Einige Städte gehen deshalb voran und verbieten Außenwerbung teilweise oder vollständig. So ist Grenoble in Frankreich bereits seit 2014 „werbefrei“ und ersetzt viele Werbetafeln durch Bäume. In Lille wird über ähnliches nachgedacht [9].

Auch Genf will etwas ändern: Nachdem die Behörden hier Rechtsstreitigkeiten mit einer Werbefirma hatten, blieben im Januar 2017 tausende Plakatwände leer. Diese Gelegenheit nutzten kreative Genferinnen und bemalten die leeren Wände einfach selbst. Auch wenn schon im Februar wieder kommerzielle Werbung an den Flächen hing, ließ diese Erfahrung den Einwohnerinnen die Ästhetik einer werbebefreiten Stadt erahnen. Und so verbietet auch Genf ab 2025 wohl kommerzielle Werbung in der Öffentlichkeit. Die offizielle Begründung: Die Werbung sei eine „visuelle Verschmutzung“ und führe zu „Konsumwahn und Verschuldung“ [10].

Der Rechtsanwalt Fadi El-Ghazi – einer der Menschen hinter der Initiative „Berlin Werbefrei“ – stellt zudem die grundsätzliche Frage über die Verteilung des begrenzten öffentlichen Raums in Städten, der auch durch Werbung immer mehr eingeschränkt und kommerzialisiert wird. In Berlin ist für 2024 deshalb nun ein Volksentscheid über eine stärkere Regulierung der Außenwerbung geplant [1].

Vor dem Hintergrund von Klimakrise, rapidem Artensterben sowie städtischer Lebensqualität und Verkehrssicherheit muss man also sagen: Der Weg zur Nachhaltigkeit ist für die Werbeindustrie noch sehr weit, wenn es ihn überhaupt gibt. Fürs Erste lässt sich festhalten: Werbung ist nicht nachhaltig. Spätestens mit der aktuellen Energieknappheit ist sie in dieser Form kaum noch zu rechtfertigen.

Quellen

[1] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165979.berlin-werbefrei-werbefrei-gegen-die-energiekrise.html

[2] https://www.purposedisruptors.org

[3] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/technologie/led-reklametafeln-hoher-stromverbrauch-101.html

[4] https://www.wsj.com/articles/digital-advertising-reduce-carbon-footprint-11655495160

[5] https://www.presseportal.de/pm/141872/4842075

[6] https://verbraucherfenster.hessen.de/umwelt-technik/datenschutz/was-tun-gegen-die-e-mail-flut

[7] https://www.stern.de/panorama/lichtverschmutzung-bedroht-tiere–beleuchtung-verursacht-artensterben-31849534.html

[8] https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/lichtverschmutzung-und-ihre-fatalen-folgen-fuer-tiere/7024

[9] https://www.bund.net/themen/aktuelles/detail-aktuelles/news/bitte-keine-reklame-grenoble-schafft-als-erste-stadt-europas-werbung-im-oeffentlichen-raum-ab/

[10] https://www.absatzwirtschaft.de/werbefreie-staedte-die-eine-freiheit-gegen-die-andere-229530/

Autoren

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ergebnisse der Hochschulwahlen 2024

Ergebnisse der Hochschulwahlen 2024

Am 9. Juli 2024 haben die diesjährigen Hochschulwahlen stattgefunden. Falls du gewählt hast: Danke! Falls nicht: Nächstes Jahr ist die nächste Chance. Dabei zählt jede Stimme, da auch dieses Jahr die Wahlbeteiligung leider wieder besonders niedrig war: In der School...

Datenschutz – Eine Grundsatzdebatte

„Ein Kommentar über die NSA-Affäre? Das ist doch sowas von 2013!“ Wie sieht eigentlich gerade die Lage aus? Die tolle Idee wäre doch, eine Überwachungsinstanz zu haben, welche die Bürger*innen vor Kriminalität und - allgemein ausgedrückt - vor Gefahr schützt. Dabei...

Powder Bed Fusion Redefining Manufacturing Horizons

Powder Bed Fusion Redefining Manufacturing Horizons

A series of beyond 3D printing Author: Kaavya Ramachandran Person interviewed: David Wenzler from Institute of Machine Tools and Industrial Management (iwb) Can you elucidate the operational intricacies of the powder bed fusion technology? David Wenzler: Powder bed...

[mailpoet_form id="1"]