Der erste Platz des Schreibwettbewerbs
Die Mobilität der Zukunft ist langweilig. Sogar fast unvorstellbar langweilig. Flugtaxis? Fehlanzeige. Autonomes Fahren als effiziente Fortbewegungsart, die es ermöglicht, eine Stunde länger im Bett zu bleiben, da man ja während der Fahrt schon mit der Arbeit beginnen kann? Ein schöner Traum. Die ersten Leser werden dem Autor dieser Zeilen nun wohl bereits eine Technikskepsis, ja gar Technikfeindlichkeit unterstellen. Doch es sind nicht die Zweifel daran, dass wir diese Technologien auf das angestrebte Niveau bringen und letztlich massentauglich produzieren können – denn dieses Ziel werden wir erreichen. Über genaue Zeithorizonte wird von Laien wie Experten gleichermaßen angeregt diskutiert, aber kaum jemand bezweifelt, dass dies alles grundsätzlich realisierbar ist. Doch werden diese Entwicklungen unsere Mobilität nicht in dem Umfang bereichern können, wie sich viele das möglicherweise erhoffen – im Gegenteil.
Aber worauf stützt sich diese kühn anmutende Annahme? Neue Entwicklungen und Technologien zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie die derzeitige Situation verbessern oder den nötigen Aufwand – seien es Zeit, Geld, oder Ressourcen – für eine Tätigkeit verringern. Um also die Zukunft der Mobilität einschätzen zu können, ist es essenziell, sich über derzeit bestehende Probleme im Klaren zu sein. So zeigen unzählige Studien, dass gerade im Bereich des städtischen Verkehrs der hohe Anteil des motorisierten Individualverkehrs, also der hohe Anteil von mit dem eigenen Auto zurückgelegten Fahrten, einige Probleme mit sich bringt [1]. Und leider lassen sich genau dieser Kategorie sowohl autonom fahrende Pkws als auch Flugtaxis oder viele andere neu konzipierte Fortbewegungsmittel zuordnen. Doch wieso ist genau diese Art der Fortbewegung so problematisch?
In der Regel werden hier drei verschiedene Aspekte unterschieden. Zuerst wäre hier das Flächenproblem zu nennen. Mobilität konkurriert einerseits mit anderen Nutzungsarten wie Wohnen und Arbeiten um Flächen, andererseits bestehen Konkurrenzen um Flächen zwischen den einzelnen Verkehrsmodi (z.B. das allseits bekannte Thema Autoparkplätze vs. Fahrradweg). Der motorisierte Individualverkehr ist hier insofern problematisch, als dass er von allen Verkehrsarten den höchsten Flächenbedarf pro Person besitzt. So nimmt ein durchschnittlicher Parkplatz bei Maßen von 3×6 Metern eine Fläche von 18 m² ein. Dies entspricht bei den derzeitigen Münchner Bodenpreisen einem Wert von ca. 54.000 € und schlägt in der Ausdehnung durchaus das ein oder andere Studentenapartment. In Anbetracht der Wohnraumknappheit oder des in Zukunft auf Grund des Klimawandels steigenden Bedarfs an urbaner Begrünung, um die innerstädtischen Temperaturen erträglicher zu gestalten, wird klar, dass weitere Flächen für Mobilität – wenn überhaupt – nur in sehr begrenztem Maße zur Verfügung stehen. Man könnte sogar forsch behaupten, momentan für Verkehr genutzte Flächen würden ein großes Potential für anderweitige Nutzungen darstellen. Autonome Fahrzeuge benötigen auf Parkplätzen und auf der Straße genauso viel Platz wie herkömmliche Gefährte – wobei manche Untersuchungen sogar nahelegen, dass der Platzbedarf auf der Straße steigen wird, da die Algorithmen natürlich die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsregelungen einhalten, was bei menschlichen Fahrern nicht immer zutrifft [2]. Dies ändert sich zwar bei einem hundertprozentigen Anteil autonomer Fahrzeuge, doch dürfte dies auf Grund der Skepsis vieler Menschen nur sehr schwer zu erreichen sein [3]. Ebenso benötigen Flugtaxis trotz aller Attraktivität nach wie vor einen Platz für Start und Landung. Zwar sollen an dieser Stelle auch innovative Lösungsansätze wie das Fahren in miteinander verbundenen Kolonnen, bei denen auf Grund von Kommunikation zwischen den Fahrzeugen der Sicherheitsabstand entfällt, oder Konzepte zum Starten und Landen auf Dächern bestehender Gebäude, nicht unterschlagen werden. Doch darf an der Praktikabilität dieser Konzepte gerade im heterogenen Stadtverkehr mit seiner Vielzahl an Quellen, Zielen und Wegeketten gezweifelt werden – ganz ungeachtet der Konflikte mit der momentanen Rechtsprechung.
Der zweite zu beachtende Aspekt ist das Zeitproblem. Oder anders ausgedrückt: niemand will im Stau stehen. Gerade zur Rush-Hour gleichen die Straßen der Großstädte einer sehr langsam vor sich hinschleichenden Blechlawine. Oft wird dann von Pendlern oder verschiedenen Interessensverbänden in der Hoffnung auf kürzere Fahrzeiten lautstark gefordert, die Kapazitäten auszuweiten. Doch dies ist ein Trugschluss. Denn jeder Weg von A nach B ist mit einem gewissem Aufwand verbunden, der sich üblicherweise aus der zeitlichen Dauer des Wegs, monetären Kosten (Ticket, Treibstoff, Parkplatz) oder weiterem Aufwand (z.B. Anzahl der Umstiege) zusammensetzt. Die einfache Faustregel lautet hier: je geringer der Aufwand, desto geringer ist die Hürde, sich auf den Weg zu machen. Was bedeutet dies im Falle einer Kapazitätsausweitung? Nehmen wir das Beispiel einer Einfallstraße, die um einen weiteren Fahrstreifen ergänzt wird. Durch das Mehr an Platz wird der Verkehrsablauf flüssiger, die Fahrer kommen schneller ans Ziel – wunderbar! Doch Menschen sind kommunikative Wesen, sodass sich die Zeitersparnis herumspricht. Und auch der Blick auf Google Maps oder das eigene Navigationssystem wird in der Folge manch einen dazu verleiten, den nun schneller gewordenen Weg einzuschlagen. Nach einiger Zeit hat das dadurch Stück für Stück steigende Verkehrsaufkommen die zusätzliche Kapazität ausgeglichen – das Spiel beginnt von Neuem [4]. Dieses Phänomen wird als induzierter Verkehr bezeichnet. Gerade eine Betrachtung der autonomen Mobilität birgt hier einige Überraschungen. So lautet eine ihrer Visionen, irgendwann das Steuer soweit aus der Hand geben zu können, dass man sich gänzlich anderen Tätigkeiten widmen kann. Die Lieblingsserie schauen, sich auf das Meeting vorbereiten, ein paar Browsergames spielen – alles möglich! Das Problem daran ist nur, dass sich dadurch der große Anteil der Zeit am Gesamtaufwand eines Weges stark verringert. Niemand wird sich mehr fragen, ob die Müdigkeit und der Terminstress nicht doch zu groß für den Antritt der Reise sind. Nein, man setzt sich einfach ins Auto und wird gefahren. In Konsequenz wird das gesamte Verkehrsaufkommen eher noch steigen. Doch damit nicht genug. Eine wichtige Maßnahme, mit der Städte derzeit das Verkehrsaufkommen steuern, ist das Parkraummanagement. Durch die Parkplatzpreise oder das Ausgeben von Parkausweisen für Bewohner wird versucht, den Verkehr in verträglichen Maßen zu halten. Ein autonomes Fahrzeug hingegen muss nicht mehr zwingend parken. Denn sofern es dem Fahrenden geringere Kosten verursacht, kann er oder sie es während des Aufenthalts an einem bestimmten Ort einfach in der Nähe seine Runden drehen lassen, was das Verkehrsaufkommen weiter ansteigen lässt. Doch halt, was, wenn einfach verboten wird, dass Fahrzeuge ohne menschliche Besatzung fahren? Tja, dann wird wieder ein Parkplatz benötigt – willkommen beim Flächenproblem!
Drittens muss noch ein Blick auf das Emissionsproblem geworfen werden. Dies betrifft einerseits für den Klimawandel relevante Emissionen wie CO2, andererseits lokale Luftschadstoffe wie Stickoxide. Hier ist festzustellen, dass mit dem Wandel hin zur E-Mobilität unabhängig von der genauen Beförderungsart beide Emissionen reduziert werden können, auch wenn ein nicht zu vernachlässigender Restausstoß während der Fahrzeugproduktion fortbesteht. Das Thema Emissionen schließt aber nicht nur ausgestoßene Gase, sondern auch den verursachten Lärm mit ein. Vielerorts wird hier der leise und geräuschlose Antrieb der E-Mobilität ins Feld geführt. Dies ist prinzipiell richtig, doch übersteigen auch bei Verbrennern ab einer Geschwindigkeit von rund 25 km/h die Fahrgeräusche die Motorengeräusche [5]. Dies bedeutet, dass bei einer Geschwindigkeit, die über besagten 25 km/h liegt, kein signifikanter Unterschied zwischen Verbrennern und E-Autos – seien diese autonom oder nicht – besteht. Ebenso ist die Errichtung der notwendigen Infrastrukturen (Straßenbau, Landeplätze, usw.) mit großen Gas- und Lärmemissionen verbunden.
Doch was folgt daraus? Gibt es kein Licht am Ende des Tunnels? Sind uns alle Hände gebunden? Nein. Denn die Lösung liegt in altbekannten, manchmal altbacken und langweilig anmutenden Fortbewegungsarten. Ein Blick nach Amsterdam, Kopenhagen oder sogar Münster zeigt, wie die Zukunft der urbanen Mobilität aussehen kann: nämlich mit Laufen und Fahrradfahren als essenziellen Stützen. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: der Flächenverbrauch, die Staugefahr auf Gehwegen und die Emissionen dieser Verkehrsmodi sind im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr äußerst gering. Veranschaulicht wird dies durch eine Rechnung des Professors Stefan Gössling. Dieser vergleicht die externen Effekte von Fahrrädern und Autos und kommt zu dem Schluss, dass jedes Auto volkswirtschaftliche Kosten von 4.000€ verursacht, während Fahrräder noch einen leicht positiven Nutzen haben [6]. Wichtig ist allerdings auch eine Ergänzung durch einen umfangreichen öffentlichen Personennahverkehr. Hier gäbe es dann auch wieder Einsatzmöglichkeiten für neue Technologien, die gerade vielerorts in der Testphase befindlichen autonom fahrenden Busse wären eine davon. Durch die eingesparten Lohnkosten, die einen großen Teil der ÖPNV-bezogenen Ausgaben ausmachen, könnte zudem auch das Gesamtangebot ausgeweitet werden.
Darüber hinaus muss auch noch die soziale Komponente von Mobilität beachtet werden. Im Freien oder mit anderen unterwegs zu sein, setzt den Rahmen dafür, auf ungezwungene und spontane Art und Weise einen Einblick in das Leben, die Probleme und Freuden anderer Menschen zu bekommen. Gerade in Zeiten, in denen immer wieder betont wird, wie gefährlich selbstgeschaffene Blasen sind, durch die jegliches Verständnis für Menschen mit anderen Ansichten verloren geht, sollte dieser ungezwungene Kontakt nicht unterschätzt werden [7]. Zudem sorgen gerade Laufen und Fahrradfahren für eine ganz neue Art der Stadtwahrnehmung und sind oft sogar schneller als die Alternative Auto [8]. Weiterhin muss die Entwicklung der Gesellschaften in der dritten Welt und deren Wirkung auf Mobilität berücksichtigt werden. Denn falls diese ihr Mobilitätsbedürfnis so befriedigen, wie wir es gerade tun, und wir autonomes Fahren, Hyperloops und Flugtaxis weltweit anbieten wollen, wird dies zu einem enormen Ressourcenverbrauch führen. Alternativen und Best-Practice-Beispiele, die anderen eine Orientierungsmöglichkeit liefern, sind also gefragt.
Auf den ersten Blick mag die Aussage, Laufen und Radfahren in das Zentrum der urbanen Mobilität der Zukunft zu stellen, wenig radikal erscheinen, wenn man sie in Kontrast zu visionären Bildern und Modellen von faszinierenden, neuartigen Konstruktionen stellt. Doch trifft das wirklich zu? Bei Letzteren werden Teile zusammengefügt, aufwendige Programme geschrieben und modernste Materialien verwendet – ohne Frage sind dies revolutionäre und disruptive Prozesse. Um jedoch Laufen und Radfahren zum Rückgrat der Mobilität zu machen, sind viel tiefgreifendere Entwicklungen nötig. Zum einen muss sich die physische Erscheinung und die Struktur unserer Städte verändern. Ein attraktiver öffentlicher Raum beeinflusst die Attraktivität von auf körperlicher Aktivität beruhenden Verkehrsmodi enorm [9], sei es durch sichere Radwege oder abwechslungsreiche und spannende Architektur. Die Stadtplanung muss sich am Konzept der Erreichbarkeit orientieren und viel präziser agieren, als sie es bisher zumeist tut, um Wege und Entfernungen schon von vornherein kurz zu halten. Dafür werden möglicherweise auch neue Rechtsinstrumente nötig sein.
Zum anderen sind jedoch auch die nötigen psychologischen Veränderungen nicht zu unterschätzen – und vielleicht sogar das größte Hindernis für diese Entwicklung. Menschen müssen ihre gewohnten, seit Jahren und Jahrzehnten eingeschliffenen Routinen verlassen, sich auf neues Terrain wagen sowie alte Bilder und Leitmotive über Bord werfen. Ein Gelingen dieses Wandels verspricht dafür umso mehr: Nachhaltigkeit durch reduzierte Emissionen und geringeren Ressourcenverbrauch, lebenswerte Städte durch attraktiven öffentlichen Raum und für andere Nutzungen frei werdende Flächen, das Auflösen selbstgeschaffener Blasen, mehr Zeit für sich, Familie und Freunde durch das Verschwinden lästiger Staus – und noch so viele andere Aspekte, die sich bis ins Unendliche ausführen ließen. Ist es nicht genau ein derart utopisch anmutendes Szenario, das man sich in kühnen Zukunftsvisionen immer ausmalt?
Die Zukunft der Mobilität mag dem ein oder anderen langweilig erscheinen; aber ist es nicht sowieso viel spannender, darüber nachzudenken, was wir mit dem gewonnen Platz oder der eingesparten Energie an großen Projekte und Ideen verwirklichen könnten, die mehr anstreben als das schiere Überwinden räumlicher Distanz?
Quellen:
[1] Bongardt, Daniel; Creutzig, Felix; Hüging, Hanna; Sakamoto, Ko; Bakker, Stefan; Gota, Sudhir und Böhler-Baedeker, Susanne: Low-Carbon Land Transport Policy Handbook, Routledge, Abingdon, UK, 2013, ISBN 978-1-84971-377-1.
[2] Little, Arthur D: Capacity effect of autonomous vehicles, 2018, URL: https://www.adlittle.com/sites/default/files/viewpoints/adl_study_capacity_impact_autonomous_driving_study_extract_1.pdf
[3] Lenz, Barbara und Fraedrich, Eva: Gesellschaftliche und individuelle Akzeptanz des autonomen Fahrens, In: Maurer, Markus, Gerdes, J. Christian, Lenz, Barbara und Winner, Hermann (Hrsg.): Autonomes Fahren, Springer Berlin Heidelberg, 2015, p. 639–660, ISBN 978-3-662-45853-2. URL: http://link.springer.com/10.1007/978-3-662-45854-9_29.
[4] Beckmann, Klaus: Autonomes Fahren im Stadt- und Regionalverkehr – Memorandum für eine nachhaltige Mobilitätsentwicklung aus der integrierten Sicht der Verkehrswissenschaft, 2016.
[5] Umweltbundesamt: Kurzfristig kaum Lärmminderung durch Elektroautos, 18.4.2013, URL: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/377/dokumente/position_kurzfristig_kaum_laermminderung_im_verkehr.pdf.
[6] Gössling, Stefan: Kostenvergleich Auto-Fahrrad, Deutschland: Berechnungsannahmen, 2018, Linnaeus Universität. URL: http://www.vivavelo.org/fileadmin/inhalte/user_upload/Goessling_CBA_Auto-Fahrrad_0418.pdf.
[7] Gehl, Jan: Life Between Buildings, 6. Auflage, Island Press, 2011, ISBN 978-1-59726-827-1.
[8] Tranter, Paul: Effective Speed: Cycling Because It’s “Faster”, In: City Cycling, MIT Press, Cambridge, Massachusetts, 2012.
[9] Pajares, Elias; Jehle, Ulrike; Ji, Chenyi; Büttner, Benjamin und Wulfhorst, Gebhard: Zu Fuß zum Bahnhof, 2019.
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