Ethikanträge professionell gestellt

Was lässt das Maschinenbauer-Herz höherschlagen, als Technik in Aktion zu sehen? Das Leuchten in den Augen, wenn wir in einem Flug- oder Fahrsimulator sitzen, sagt schon alles. Bestimmt hat der ein oder andere bei einem solchen Forschungsprojekt schon mal als Versuchsperson mitgemacht. Für Probandin oder Proband ist das meistens eine spannende Erfahrung. Aber wie sieht es auf der Seite der Forschenden aus? Es muss nicht nur der Versuch gründlich und erfolgsversprechend geplant werden, sondern auch ein Ethikantrag gestellt werden, sobald Versuchspersonen involviert sind. Der Lehrstuhl für Ergonomie bietet das zweitägige Seminar „Ethikanträge für Probandenstudien in der Mensch-Technik Forschung“ an, in dem das grundlegende Verständnis der Herausforderungen bei der Durchführung von Probandenstudien mit Nutzerinnen und Nutzern technischer Systeme und das Stellen eines Ethikantrags vermittelt wird. Die Erforschung der Mensch-Technik-Interaktion bietet ein spannendes Feld, in dem nicht nur die technische Umsetzung, sondern auch die Ethik eine wichtige Rolle spielt. Professor Bengler im Interview über das von Christian Lehsing konzipierte Seminar.

Reisswolf: Wie sind Sie auf die Idee gekommen ein Seminar zum Thema Ethikanträge anzubieten? 

Professor Bengler: Von Universitätsseite ist es grundsätzlich eine Verpflichtung, das große Thema „gute wissenschaftliche Praxis“ in der Lehre zu intensivieren. Die Thematik des Datenschutzes hat in den letzten Jahren einen immer höheren Stellenwert bekommen und besonders in Studien mit Probandinnen und Probanden ist das ein wichtiger Punkt. In unserer Disziplin Arbeitswissenschaft wird das Thema aufgrund der vielen Probanden sehr ernst genommen. Mein Kontakt zur Ethikkommission der Technischen Universität und Ihrem Leiter ist also ohnehin sehr gut. In Kooperation mit der Ethikkommission und Dr. Gatt wollen wir den Umgang mit Ethikanträgen Studierenden schon so früh wie möglich mitgeben und nicht erst zur Masterarbeit.  

Eine weitere Motivation war, dass es parallel zu unseren Überlegungen, viele Gespräche zwischen der Hochschule für Philosophie, der TUM und den Studierenden gab, die ein großes Interesse für Veranstaltungen zum verantwortungsvollen Umgang mit Technik gezeigt haben. Junge Ingenieurinnen und Ingenieure stellen sich immer häufiger die Frage, wie sie bei der Entwicklung von Technologie verantwortungsbewusst und ethisch vertretbar vorgehen können. Daher beleuchten wir in diesem Kurs gründlich den Begriff Ethik. Einerseits wollten wir Ethik aus der Engineering-Sicht vermitteln sowie andererseits das Handwerkzeug zum Stellen eines Ethikantrags mitgeben und erläutern wie eine Ethikkommission arbeitet. Daraus ist dann dieses Seminar entstanden. 

Und die Relevanz steigt mit den Themen automatisiertes Fahren oder künstliche Intelligenz. In der Zukunft werden wir immer häufiger das Phänomen erleben, das eine Technologie nochmal aus Sicht der Ethik betrachtet werden muss und auf diese Diskussion wollen wir die Studierenden vorbereiten. 

Forschung […] geht manchmal auch bewusst über Standards hinweg. Davor sollte man sich nicht fürchten, aber man sollte sich sorgfältig vorbereiten.

Reisswolf: Sie hatten erwähnt, dass man sich auch mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen muss. Welche Richtlinien muss man denn da beachten? 

Professor Bengler: Die Themen Datenschutz und Ethikantrag sind eng verflochten. Die grundlegenden Dinge für einen Ethikantrag sind die detaillierte Beschreibung des Versuchs und das Durchdenken der Studien mit Probanden. So kann man die Risiken für die Probanden ausloten und das Risikomanagement beschreiben. Forschung hat immer eine gewisse Risikokomponente und geht manchmal auch bewusst über Standards hinweg. Davor sollte man sich nicht fürchten, aber man sollte sich sorgfältig vorbereiten. Die Ethikkommission wirft auch einen Blick auf die Datenerhebung und -speicherung. Wie stark dringt man in die Privatsphäre der Probanden ein? Wie werden die Daten erhoben und gespeichert? All diese Dinge korrespondieren direkt mit der DSGVO der EU. In unserem Seminar betrachten wir die Forschungsebene. Dabei fällt auf, dass eine gute experimentelle Praxis viele Probleme bereits adressiert. Ich lege Wert darauf, dass Ethik nicht nur eine Disziplin für die Hochschulen ist, sondern auch für die Industrie, also zum Beispiel für die späteren Untersuchungs- oder Laborleiter. Diese Verantwortung und Professionalität ist, besonders für Deutschland, ein wichtiges Gütemerkmal.

Reisswolf: Können Sie ein Beispiel nennen, was bei einer Probandenstudie alles beachtet werden muss?

Professor Bengler: Ein Beispiel wäre eine Fahrermüdigkeitsstudie. Dabei wird untersucht wann und unter welchen Bedingungen Menschen beim Autofahren einschlafen. Das lässt sich natürlich gut aufzeichnen, indem man das Gesicht der Menschen filmt. Dafür muss man aber erstens die Einwilligung der Probandinnen und Probanden einholen und zweitens im Vorhinein bereits festlegen, wer Zugriff auf die Daten hat. Nicht jeder möchte ein Video von sich, in dem er beim Fahren einschläft, auf YouTube wiederfinden. Eine weitere Frage ist, wann diese Daten wieder gelöscht werden und da kommt man zu einem Dilemma. Denn die DFG sagt, dass Forschungsdaten 10 Jahre aufgehoben werden müssen. Die Teilnehmenden des Seminars lernen, wie man damit umgehen kann. Es gibt zum Beispiel Mechanismen, wie man solche Gesichtsdaten auswertet und die Videos anschließend löscht, sodass die extrem personenbezogenen Daten nicht mehr benötigt werden. Man betrachtet die Daten unter dem Aspekt der Datenhygiene und Datenökonomie und beurteilt, was gelöscht, was gesichert und wer Zugriff bekommt. 

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