Der Blick in den Himmel faszinierte die Menschheit schon immer. Die Teleskope wurden lichtstärker, größer, besser und erlaubten einen immer tieferen Blick in die Weiten des Universums. Wobei die Tiefe auch eine zeitliche Bedeutung besitzt. Was beim normalen Fernglas nicht auffällt, jedoch bei großen Teleskopen eine elementare Aussage besitzt, ist die Tatsache, dass das auftreffende Licht mehrere Tausend Jahre alt ist. So ist ein Blick in den Himmel auch ein Blick in die Vergangenheit.
Die Anforderungen für den perfekten Ort für solche Himmelsbeobachtungen sind hart. Denn die Erdatmosphäre wirkt wie eine schlecht geputzte Windschutzscheibe, dessen Einfluss möglichst verringert werden muss. Trocken und dünn muss die Luft deswegen sein. Und genau diese Eigenschaften findet man in der Atacama-Wüste in Chile. Nicht umsonst befinden sich dort mehrere Teleskope der ESO. Deren Verwaltungs- und Entwicklungszentrale ist im Süden des Campus Garching.
Es folgt eine Reportage zu den Observatorien bei dünner Luft. Drei Sternwarten wurden besucht: La Silla, ALMA und Paranal.
La Silla
Wir biegen von der Panamericana-Fernverkehrsstraße ab und foltern unser Auto auf einem staubigen und kurvigen Weg den Berg hinauf. Aus der Ferne wirken die Kuppeln der Teleskope wie Pilze, die auf dem 2400 m hohen Berggrat aus den Bergen sprießen. Der erste Entdeckungsspaziergang zeigt den wirklichen Charakter der Wüste, der wir vorher noch im angenehm künstlichen Klima des Autos ausweichen konnten: Die heiße Mittagssonne brennt vom blauen Himmel auf die gelbbraunen Berge. Nur die eigenen Schritte hört man auf dem vernarbten Asphalt. Vergeblich müht sich eine leichte Brise um Aufmerksamkeit.
Zwei Stunden vor Sonnenuntergang fahren wir mit dem Lift hoch, unter die Kuppel des ESO-3,6-m-Teleskops, dem (ehemals) größten Teleskop hier. Die Blenden und Türen werden geöffnet, um den Spiegel auf Umgebungstemperatur zu bringen und die Luftzirkulation zu verbessern. Das ESO-3,6-m-Teleskop hat einen starren Cassegrain-Spiegel, das Licht trifft zuerst auf den primären Spiegel (M1), wird auf den sekundären Spiegel (M2), der über dem M1 hängt, projiziert und wird dann durch eine Öffnung im primären Spiegel auf die Instrumente geleitet. Das ESO-3,6-m-Teleskop hat als einziges Instrument seit 2008 das High Accuracy Radial Velocity Planet Searcher (HARPS) montiert, das nach Exoplaneten sucht. Gefunden wurden schon 130. Früher wurden täglich die Instrumente gewechselt, der primäre Spiegel ist hingegen immer noch seit 1976 das Original.
Vom Außenbalkon des ESO-3,6 m-Teleskops hat man den besten Blick auf die anderen Einrichtungen auf La Silla. Direkt vor uns liegt das New Technology Telescope, gleich daneben das schweizerische 1,2 m Euler Teleskop. Im Hintergrund ragt eines des Instituts für Astronomie der Max-Planck- Gesellschaft (MPG) und der ESO gemeinsam betriebene 2,2 m Infrarot-Teleskop und nebenan das 1,54 m dänische Teleskop.
Langsam sinkt die Sonne, schnell fällt die Temperatur in der Wüste auf knapp 10°C. In der Ferne leuchtet der pazifische Ozean orange, auf der anderen Seite steigt der Vollmond auf, der aufgrund der Abwesenheit jeglicher Lichtverschmutzungsquelle und der dünneren Atmosphäre den Himmel hell erleuchten lässt. Wir finden den Orion, man sieht ihn auch in der Südhalbkugel. Doch das Kreuz des Südens ist neu für uns.
Die Stille der Nacht wird nur durch das gelegentliche Rotieren der Teleskope unterbrochen. Erstaunlich leise, insbesondere wenn man bedenkt, dass sich dabei das gesamte Gebäude bewegt. Beim MPG/ESO 2,2-m-Teleskop zischt rhythmisch die leise Kühlung der Infrarot- Instrumente. Man hört das leise Brummen eines Automotors, der nur mit Standlicht auf eines der Teleskope zufährt, um Lichtverschmutzung zu vermeiden.
Am nächsten Morgen steigen wir in das New Technology Telescope (NTT) hoch. Vorbei am alten Kontrollraum, der aus Gewichtsverteilungsgründen verlassen wurde, dann noch ein Stockwerk höher. Die Geräte sind hier so empfindlich, dass eine asymmetrische Gewichtsverteilung tatsächlich die Beobachtungsqualität beeinflusst. Hier steht SOFI, ein Infrarot-Spektrograph, umgeben vom rhythmischen Zischen der Kühlung. Die Instrumente arbeiten bei einer Temperatur von nur 65 Kelvin. Dann endlich gelangen wir zum Teleskop selbst. Dank seiner 75 Aktuatoren unter seinem 3,58 m-Spiegel war das NTT eines der ersten Teleskope der Welt mit active optics. Diese Funktion kann die Spiegelkrümmung ausgleichen, die beim Schwenken des Teleskops entsteht. Das NTT ist ein Ritchey-Chrétien Teleskop, bei dem das Licht vom M2 über einen dritten, um 45° gekippten Spiegel (M3) zu den beiden Instrumenten auf der Seite des Teleskops geleitet wird. Je nach Orientierung des M3- Spiegels kann zwischen zwei Instrument gewechselt werden. SOFI ist das eine und ESO Faint Object Spectrograph and Camera (v.2) (EFOSC2) das andere Instrument.
Wir hatten das Glück, den zweistündigen Umbau von EFOSC2 zur ULTRACAM beobachten zu dürfen: Zuerst wird EFOSC2 komplett abgeschraubt, dann wird die gesamte Plattform nach hinten gezogen. Per Kran wird ein weißer Kegel, der zur Brennweiten-Einstellung verwendet wird, hochgezogen und am Teleskop angeschraubt. Dieser wiegt 290 kg. Dann ist die ULTRACAM an der Reihe. Sie kann bis zu 100 Bilder pro Sekunde machen, und das bei einer Lichtstärke, die fast 100.000-mal schwächer ist als das menschliche Auge noch erkennen könnte. Jeder Hobbyfotograf könnte von solchen Werten nur träumen. Die ULTRACAM wird jetzt sieben oder acht Tage montiert bleiben, dann ist wieder EFOSC2 an der Reihe.
Abkürzungsverzeichnis La Silla
- ESO 3,6 m-Teleskop, 3,6 m Spiegelduchmesser
- NTT, New Technology Telescope, 3,6m
- ESO/MPG 2,2m Teleskop, 2,2m
- HARPS: High Accuracy Radial Velocity Planet Searcher
- SofI: Son of ISAAC (Infrared Spectrometer and Array Camera)
- EFOSC2: ESO Faint Object Spectrograph and Camera (v.2)
ALMA
Gute vier Stunden fahren wir von der Küstenstadt Antofagasta durch die karge Atacamawüste Richtung Osten fast bis zur argentinischen Grenze, um zu unserer nächsten Station zu kommen: Das Atacama Large Millimeter Array (ALMA) Radioteleskop. Es war übrigens bei der Erstellung des medienwirksamen ersten Bildes vom Schwarzen Loch beteiligt. ALMA ist ein Zusammenschluss der Europäischen Südsternwarte, des National Radio Astronomy Observatory (NRAO) aus den USA und des National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ). Es liegt auf über 5000 m über Meereshöhe auf dem Llano de Chajnantor-Plateau.
Nach einer viertelstündigen Sicherheitseinweisung fahren wir zur hoch zu ALMA. Links neben der Straße klafft eine tiefe Schlucht, vor uns ragen die Anden auf.
ALMA besteht aus zwei Teilen: der Operation Support Facility (OSF), auf 2900 m, in der die Wissenschaftler, Ingenieure und andere Angestellte wohnen und arbeiten, und der Array Operation Site (AOS), auf 5000 m, auf der die Antennen stehen. Wir treffen Arturo, unsere Ansprechperson vor Ort. Zuerst müssen wir einen medizinischen Check bestehen, damit wir auch zum AOS dürfen (Spoiler: wir dürfen). Wir unterschreiben einen Zettel, um zu bestätigen, dass wir zahlreiche medizinischer Probleme nicht haben. Von denen kenne ich nicht einmal die Hälfte. Außerdem bekommen wir eine Flasche Sauerstoff in die Hand gedrückt. Bei der großen Höhe müssen alle aus den Gasflasche atmen, um Schwächeanfällen vorzubeugen. Sicher ist sicher.
Ein kurzer Besuch in den Laboren gibt den technischen Hintergrund: Die empfangenen Wellen werden vom Reflektor aus auf das front end geleitet, das zehn Empfänger hat, jeweils eines für verschiedene Wellenlängen, von 0,3 mm bis zu 8,6 mm, bzw. einer Frequenz von 950 GHz bis 35 GHz. Im Inneren des front ends herrscht eine Temperatur von 4 Kelvin, um jegliche Interferenzen zu vermeiden, da die empfangenen Signale besonders schwach sind. Daraufhin werden im back end die analog empfangenen Wellen ins digitale konvertiert und zum correlator, ALMA’s Supercomputer, weitergesendet. Mehr dazu aber später.
Denn jetzt geht es in luftige Höhen: Rauf zur Array Operation Site! Nach Verlassen des OSF passieren wir einen Checkpoint, um das Auto zu überprüfen, und werden per Funk bei der AOS-Security angemeldet. Über eine halbe Stunde dauert die Fahrt von 2900 m auf 5000 m Seehöhe, wir bewundern das beeindruckende Panorama der Salar de Atacama, der größten Salztonebene Chiles. Kakteen säumen die Straße, dazwischen immer wieder wilde Esel und Vicuñas, Verwandte der Alpakas. Dann, eine letzte Kurve und wir sind auf dem Chajnantor-Hochplateau.
Vor uns erstreckt sich der Großteil der 66 Antennen. Dazu noch die Garage für die Antennentransporter und ein unter Druck gesetztes Betriebsgebäude, das Schutz vor den kühleren Temperaturen, dem Wind und der dünnen Luft bietet. Dort müssen wir uns erstmal anmelden, damit die Security einen Überblick hat, wer sich hier aufhält. Auch einen weiteren Medizincheck müssen wir absolvieren. Auf einem Bildschirm sehen wir, dass heute nur 19 der 66 Antennen in Betrieb sind. Die anderen werden aufgrund eines kürzlich vergangenen Sturms gewartet.
In der Mitte stehen eng beieinander zwölf Antennen mit einen Durchmesser von 7 m, flankiert von weiteren vier mit einem Durchmesser von 12 m. Diese 16 Antennen sind der Atacama Compact Array (ACA), gebaut von Japan. Diese sollen eine gröbere Übersicht bieten, sodass die beobachteten Objekte dann in größerem Detail mit den 54 großen 12 m Schüsseln studiert werden. Die über 100 Tonnen schweren Antennen können verschoben werden, heute sind sie in einer engen Konfiguration zusammengestellt. Zwei Spezialtransporter, selbst 130 Tonnen schwer, übernehmen in der unwirtschaftlichen Höhe diese Aufgabe. Nicht nur Menschen leiden unter der dünnen Luft, auch der Leistung des Dieselmotors sinkt von 700 auf 450 PS.
Die klare Sicht des Hochplateaus in den Anden wird mit einer hohen Beanspruchung von Mensch und Maschine bezahlt. Dem Sauerstoffmangel, der trockenen Luft, den starken Winden und große Temperaturschwankungen (-20°C bis zu 20°C), sowie gelegentlichen seismischen Aktivitäten und Schnee steht höchste Präzision entgegen: Die Radioantennen können bis auf 0,6 arcsekunden eingestellt werden, das entspricht 1/3600 eines Winkelgrades. Mit dieser Genauigkeit könnte ein 15 km entfernter Golfball mit einem Laser anvisiert werden.
Insgesamt gibt es 270 mögliche Stellungen für die Antennen, in der am meisten ausgedehnten Konfiguration trennen 16 km die am weitest entfernten Antennen. In einer großen Konfiguration des Teleskopfeldes bekommt man höher auflösende Bilder und braucht längere Observationszeit. Das ist mit einer engeren Konfiguration natürlich das Gegenteil, Schnappschüsse quasi, mit einem breiteren Sichtfeld. Da die empfangene Wellenlängen nicht im sichtbaren Spektrum sind, ist ALMA rund um die Uhr in Betrieb und muss nicht auf den Sonnenuntergang warten.
Je länger die Wellenlänge, desto niedriger ist deren Auflösung. Um dem entgegen zu steuern, braucht man einen großen Empfänger. Doch die aus den Tiefen des Alls empfangenen Wellen sind so lang, dass man gigantische Empfänger braucht. Dieser wird simuliert, indem mehrere, kleinere Antennen als Interferometer zusammenarbeiten. Jede Antenne gibt eine Spektrum aus, der Korrelator legt diese zusammen und errechnet mittels inverser Fouriertransformation das Bild. Die Erstellung des Bildes selbst passiert aber in Santiago, 1250 km weiter südlich. Der Korrelator steht auf dem Chajnantor-Plateau, im Betriebsgebäude. Von jedem Antennenpaar werden die Signale mehrere Milliarden male pro Sekunde verglichen, bei maximaler Leistung schafft es der Korrelator, die Signale von 64 Antennen zu verarbeiten, das sind 2016 mögliche Paarungen. Also müssen 17 Billiarden (17×10^15) Rechnungen pro Sekunde durchgeführt werden. Dies schaffen 134 Millionen FPGA-Prozessoren. Die Herausforderung beim Korrelator war es, die ganzen Rechnungen in Echtzeit durchzuführen. Durch Echtzeit sieht man sofort, ob die Daten brauchbar sind und kann dann über ein Feedbackloop Parameter verbessern.
Für die natürlich sehr begehrte Observationszeit mit ALMA gibt es zwei Aufteilungsschlüssel: nach Land und nach wissenschaftlichem Interesse. Chile, als Gastgeberland, bekommt 10% der Observationszeit, den Rest bekommen die beteiligten Forschungsgruppen (ESO, NRAO, und NAOJ).
Die Bewerbungsfrist für Beobachtungsprojekte endet jedes Jahr im März, diese werden dann im Mai auf einer Expertenkonferenz bewertet und beschlossen. Im September beginnt die neue Beobachtungssaison. ALMA kann unter anderem protoplanetarische Systeme, Geburten von Galaxien, astronomische Systeme, und Exoplaneten beobachten.
Untertags arbeiten etwa 40 bis 50 Leute auf dem Hochplateau, nachts nur die Security. Manchmal trotzen den eiskalten Temperaturen in der Nacht auch einige abgehärtete Hobby-Astronomen unter den Angestellten, um bei besten Beobachtungsbedingungen die schönsten Bilder für den Desktop-Hintergrund zu schießen.
Doch das Leben als Astronom besteht nicht nur daraus romantisch in den Sternenhimmel zu blicken. Das Leben auf weit mehr als 2000 Metern irgendwo im Nirgendwo ist nicht leicht. Der Arbeitstag dauert hier (und auch bei den ESO-Sternwarten) elf Stunden, acht Tage lang. Danach gibt es sechs Tage Pause. Da eine Verbindung mit dem chilenischen Strom- und Wassernetz zu teuer gewesen wäre, stehen hier zwei Gasturbinen und Wasser wird per Tanklaster angeliefert.
Abkürzungsverzeichnis ALMA
- ALMA: Atacama Large Millimeter Array
- ACA: Atacama Compact Array
- EHT: Event Horizon Telescope
- NRAO: National Radio Astronomy Observatory
- NAOJ: National Astronomical Observatory of Japan
- OSF: Operation Support Facility
- AOS: Array Operation Site
Paranal
Zurück an die Küste nach Antofagasta und dann noch zwei Stunden weiter südlich durch die Atacamawüste fahren wir zum Very Large Telescope (VLT) der ESO auf dem Cerro Paranal.
Dort beziehen wir als erstes unsere Zimmer im berühmten Hotel, das sich mit den roten Sichtbetonwänden perfekt in die Landschaft einfügt. Vor uns ist James Bond auch schon hier gewesen: Quantum of Solace. Als Überbleibsel von den Filmarbeiten liegen noch ein paar hohle Steinattrappen herum. Begrüßt werden wir von einer Wand aus schwüler Luft, saftig grünen Pflanzen und einem blau strahlenden Pool. Diese Oase dient jedoch nicht nur der kreativen Freizeitgestaltung der Mitarbeiter des Teleskops, sondern ist auch dazu da, um die sehr trockene Luft (Luftfeuchtigkeit unter 20%) zumindest im Gebäude etwas erträglicher zu machen. Um den ersten Eindruck noch zu verstärken, fängt die Erde an zu beben. 5,6 auf der Richter-Skala. Für chilenische Verhältnisse gerade mal ein Bebchen.
Nach dem Mittagessen fährt uns Iván, unser Ansprechpartner vor Ort, vom Hotel den steilen Weg hinauf zu den vier Teleskopen, aus denen das VLT besteht. Anders als ALMA’s seelenlose Antennen haben die vier Teleskope nicht nur eine Nummer, sondern auch einen Namen: das UT1 heißt Antu, UT2 Kueyen, UT3 Melipal und UT4 Yepun. Das sind die Namen für Sonne, Mond, Kreuz des Südens und Venus auf Mapudungun. Das die Sprache der Mapuche, ein Volk, das südlich vom Bio-Bio Fluss lebt, etwa 500 km südlich von Santiago. UT bedeutet Unit Telescope.
Mit Schutzhelm ausgerüstet betreten wir das UT1 Antu. War die Luft auf 2635 m nicht dünn genug, so verschlägt uns die Größe des 8,2m-Durchmesser-Spiegels erst recht den Atem. Ein VLT-Spiegel ist 175 mm dick und wiegt 23 Tonnen, entsprechend groß ist auch das Gerüst zum Halten dimensioniert. Der überwältigende Eindruck wird akustisch begleitet vom mittlerweile vertrauten Zischen der Kühlung der Infrarotinstrumente.
Wie auch beim NTT sind die Spiegel des VLT keine starren Spiegel, sondern haben eine aktive Optik. Aufgrund des größeren Spiegels sind aber 150 Aktuatoren hier am Werk. Dazu hat das UT4 Yepun noch adapative optics: Mit vier besonders starken Laserstrahlen (mit einer Leistung von 22 Watt, entspricht 4000 Laserpointern) werden vier Sterne simuliert, indem Natronatome 90 km in der Atmosphäre zum Schwingen gebracht werden. Mittels dieser Referenzsterne werden die atmosphärischen Turbulenzen berechnet und durch verstellen des Spiegels korrigiert.
Jedes Teleskop ist von bis zu drei Instrumenten flankiert (links, rechts, unten), dazu kann noch das Licht in den Keller geleitet werden zum Interferometrie-Tunnel, in dem Spiegel auf Schienen fahren. Den Tunnel können wir leider nicht besichtigen. Wegen des vorherigen Erdbebens werden die Instrumente auf Herz und Nieren überprüft. Die Interferometrie-Instrumente sind so sensibel, dass wenn das VLT in der VLTI-Konfiguration verwendet wird, alle Pumpen auf dem Berg abgeschaltet werden müssen um Vibrationen zu vermeiden. Die vier 8,6 m großen Spiegel werden aber nur etwa fünf Nächte pro Monat in der Interferometrie-Konfiguration verwendet, meistens arbeiten sie als eigenständige Teleskope. Dafür gibt es noch die vier 1,8 m großen Auxiliary Telescopes, die auf Schienen verschoben werden können, um verschiedene Konfigurationen zu ermöglichen.
Dann geht es den Berg wieder hinunter zur Wartungshalle. Alle zwei Jahre werden die 8,6 m großen Spiegel gereinigt, was eine Woche dauert. Der Käfig, auf dem der Spiegel liegt, wird vom Rest des Teleskops abgeschraubt, und die 45 Tonnen werden auf Luftkissen zum Spezial-LKW transportiert. Dieser fährt dann im Schneckentempo den Berg hinunter zum Basecamp, wo der Spiegel vom Käfig getrennt wird. Aufgehängt werden die 23 Tonnen aus Glas-Keramik auf 15 Haken (es gab einmal ein starkes Erdbeben, just in dem Moment, als der Spiegel an diesen Haken hing. Die Anspannung der Astronomen war unmessbar, aber der Spiegel hielt). Im Reinraum wird die alte Aluminiumbeschichtung mit Säure und Wasser entfernt, dann kommt der Spiegel in eine etwas größere Vakuumkammer. Die Pumpen arbeiten die ganze Nacht, und eine neue reflektierende Schicht wird mittels Kathodenzerstäubung aufgetragen. Nach einer Inspektion wird der Spiegel wieder auf seinem Käfig befestigt und den Berg hinauf zurück an seinen Platz gebracht.
Wir machen uns auch wieder auf den Weg nach oben und machen schnell einen Abstecher zum VLT Survey Telescope (VST). Das schon fast im Taschenformat (aber mit dennoch stattlichem 2,6 m-Spiegel) gebaute Teleskope hat ein besonders breites Sichtfeld und dient der systematischen Durchsuchung des Himmels und Kartographierung des Sternehimmels. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch VISTA, welches etwas abgelegen auf einem Nebengipfel steht. VISTA steht für Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy, und wie der Name es schon andeutet, arbeitet dieses 4,1 m-Teleskop im Infrarotbereich.
Beste Sicht genießen wir auf den geköpften Berg Cerro Armazones, der nur 25 km weiter östlich aufragt. Dort wird 2025 das Extremely Large Telescope (ELT) seine Beobachtungen aufnehmen. Der Berg wurde gesprengt, um eine Ebene für das Teleskop vorzubereiten. Das in Zukunft größte Teleskop der Welt wird einen Spiegel von 39 m Durchmesser bekommen. Um solche Dimensionen zu ermöglichen, wird der Hauptspiegel aus 798 hexagonalen Segmenten bestehen, die jeweils 1,4 m breit sind. Das ELT wird vom Cerro Paranal aus kontrolliert werden. Täglich sollen jeweils zwei hexagonale Spiegelsegmente zum VLT Basecamp gebracht werden, um dort gereinigt zu werden.
Pünktlich zur Öffnung der Kuppel für die Nacht sind wir im UT4 Yepun. Wir steigen auf eine Plattform hoch und das gesamte Teleskop fährt ans uns vorbei. Dann, fast lautlos, dreht sich das ganze Gebäude um uns! Langsam kippt der Spiegel mit gesamter Superstruktur zur Seite, als Sicherheitsmaßnahme, sollte etwas vom Dach bei der Öffnung auf den Spiegel fallen. Bedrohlich zeigen die vier Laser direkt auf uns während wir noch einmal auf den beeindruckenden Spiegel sehen können.
Zum Sonnenuntergang stehen wir wieder draußen. Zu unseren Füßen liegt wolkenbedeckt der Pazifik, während sich langsam wieder alles orange färbt. Das Kontrollzentrum erwacht, die letzten Rollos werden niedergelassen. Es herrscht reger Betrieb.
Hell strahlt uns die Milchstraße entgegen. Um zwei Uhr morgens steigt langsam der Mond auf, hinter uns leuchten die Laser in den Himmel. Am Boden liegend genießen wir die letzte Nacht unter der Sternen in Chile.
Abkürzungsverzeichnis Paranal
- VLT: Very Large Telescope, 8,2m
- ELT: Extremely Large Telescope, 39m
- UT: Unit Telescope
- VISTA: Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy, 4,1m
- VST: VLT Survey Telescope, 2,2m
Vielen Dank an Arturo, Iván und allen anderen ESO- und ALMA Mitarbeiter, die sich Zeit von Ihrer Arbeit genommen haben, um uns durch die verschiedenen Sternwarten zu führen und uns sehr detaillierte Erklärungen gegeben haben.
Aus 03/2019 von Marcus Dürr. Alle Bilder von Luka Jeram
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