Beatmungsgeräte selbst gemacht – oder doch nicht?

Es ist unbestreitbar, dass die wahren Superhelden der Corona-Pandemie die Ärzte, Pfleger und alle anderen medizinischen Kräfte sind. Sie sind es, die sich die Ärmel hochkrempeln und tun, was getan werden muss, um uns allen, jedem persönlich und der Gesellschaft zu helfen. Und wir anderen, die nicht wissen, wie ein Patient intubiert oder das Beatmungsgerät bedient wird, helfen, wo wir können. Manche nähen Masken, manche machen den Einkauf für ihre Nachbarn aus der Risikogruppe und wir Ingenieure machen das, was wir am besten können: Wir schnappen uns ein Whiteboard, einen Messschieber und ein CAD-Programm und bauen ein Beatmungsgerät.  

Zumindest hat sich das der ein oder andere Technikenthusiast gedacht und losgelegt. Mit Szenen aus Grey’s Anatomy im Kopf, in denen die gutaussehende Krankenschwester den bewusstlosen Patienten mit einem sogenannten Beatmungsbeutel (einem kleinen Plastikzylinder, den man zusammendrücken kann, um so Luft in die Lunge zu pumpen) wiederbelebt. Man könnte ja das Zusammendrücken des Beatmungsbeutels automatisieren, damit die hübsche Krankenschwester die Hände frei hat. Oder nicht? Das wäre jedenfalls eine verfügbare und sehr günstige Alternative zu den kostenintensiven Beatmungsgeräten. 

Trotzt der ehrvollen Intention ist ein solcher Blasebalg leider eher schädlich für die Lunge, als dass er etwas bringt. Trainierte medizinische Fachkräfte haben es im Gefühl, mit welcher Frequenz und welchem Druck sie den Beatmungsbeutel drücken müssen – ein automatisierter Blasebalg hingegen nicht. 

Ein Beatmungsbeutel in seiner vollen Pracht!

Komplizierter als gedacht 

Was die medizinische Fachkraft im Gefühl hat, muss ein Beatmungsgerät mit Steuerung und Regelung hinbekommen. Denn die menschliche Atmung ist komplexer als gedacht. Bei der Atmung in Ruhe vergrößert das Zusammenziehen des Zwerchfells und das Aufstellen der Rippen das Lungenvolumen. Dadurch entsteht ein Unterdruck in der Lunge, Luft strömt ein und Sauerstoff wird an den Lungenbläschen aufgenommen sowie CO2 abgegeben. Die „verbrauchte“ Atemluft wird nun wieder aus der Lunge befördert, indem das Zwerchfell und die Rippen das Lungenvolumen wieder verkleinern. Na, wer hat sich dabei erwischt, einmal tief einzuatmen? 

Bei der künstlichen Beatmung durch ein Beatmungsgerät muss die Luft von außen in die Lunge befördert werden und das sorgt paradoxerweise dafür, dass die Druckverhältnisse sich genau umdrehen: Überdruck bei der Einatmung und Unterdruck bei der Ausatmung. Man muss also den Druck in der Lunge ganz genau überwachen. Unter anderem muss man den PEEP beachten. Der „Positive EndExpiratory Pressure“ ist der Druck, der nach dem Ausatmen noch in der Lunge bleibt. Das ist extrem wichtig, weil dieser Druck die Lunge aufrecht hält und den Kollaps der Lungenbläschen verhindert. 

Die Druckverhältnisse und Volumenflüsse in der Lunge müssen also akribisch eingestellt und überwacht werden. Außerdem müssen Parameter wie die Sauerstoffkonzentration und die Atemfrequenz gesteuert und geregelt werden. Man muss also auch die Werte der Patientin oder des Patienten mit Sensoren überwachen. Da es bei der Beatmung buchstäblich um Leben oder Tod geht, ist die Sicherheit ein enorm großer Faktor. Sicherheitsvorkehrungen wie eine Batterie für den Fall eines Stromausfalls und Alarme sind unbedingt notwendig.  

Und das alles ist bei jeder beatmeten Person anders. Eine 15-jährige Asthmatikerin muss natürlich anders beatmet werden als ein 30-jähriger Bodybuilder. Und hier liegt auch eine weitere Schwierigkeit: Es wird ein Mensch beatmet. Das Beatmungsgerät muss also auch mit Seufzern oder Husten umgehen können. Es wird sehr schnell sehr kompliziert und man stellt fest, dass ein automatisierter Beatmungsbeutel nicht viel besser ist als ein Luftballon.  

Und was ist mit Usability? 

Wenn etwas so kompliziert wird, tendiert die Bedienung dazu, ebenfalls komplex und unübersichtlich zu werden. Dabei sollte die Bedienung von Beatmungsgeräten besonders fehlerresistent und intuitiv sein, da das medizinische Personal, welches damit zurechtkommen muss, in einer Pandemie meist übermüdet ist. So können durch eine falsche Bedienung fatale Fehler entstehen, die sehr einfach zu vermeiden wären. Ich habe mir drei Beatmungsgeräte genauer angeschaut und dabei einige verwirrende oder fehlerhafte Aspekte gefunden, die sehr einfach zu vermeiden wären. 

Ein Beispiel: So sehr uns im Studium eingetrichtert wird IMMER die Einheit zu jedem Wert dazu zu schreiben, so oft wurde es bei vielen Prototypen vergessen. Manchmal fehlte die Einheit, manchmal die Bezeichnung und oft waren die Abkürzungen verwirrend. Das darf nicht sein, denn als Bediener des Beatmungsgerätes muss man immer wissen, welchen Parameter man gerade wie einstellt. 

Hier ist der Prototyp der Benutzeroberfläche des gemeinnützigen Projekts DIY Ventilator dargestellt. Das Team ist gerade dabei ein sehr vielversprechendes Beatmungsgerät zu entwickeln. (Quelle: https://diyventilator.de/index.php?id=blog)

Versteht mich nicht falsch: Ich bewundere die Motivation und den Helferswillen der Entwicklerinnen und Entwickler. Es ist jedoch auch so, dass ein Beatmungsgerät nicht einfach mit viel gutem Willen zusammengebastelt werden kann. Es ist viel medizinisches Grundwissen, Regelungstechnik, Software, Mechanik und vieles mehr notwendig, um ein einsatzfähiges Gerät zu bauen. Es ist viel Arbeit, aber sie ist auf jeden Fall nicht umsonst! Denn wenn die Intensivbetten alle belegt sind, ist jedes Beatmungsgerät besser als keines. Und langfristig, können solche einfachen, günstigen Beatmungsgeräte auch in Entwicklungsländern mit großartiger Wirkung eingesetzt werden. Also keep going, but keep going in the right direction. Und auch wenn die meisten von uns im Alltag keine Capes tragen… So können wir doch auch als Ingenieurinnen und Ingenieure einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie leisten. 

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