Mit π und e durchs Leben – Ein mathematischer Lebensratgeber

Überall sind wir umgeben von gut gemeinten Sprüchen. Auf der Kaffeetasse am Morgen zwinkert uns der Spruch „Liebe, Lebe, Lache“ entgegen. Wenn wir nach einem Rat fragen, in welche Richtung wir unsere Karriere planen sollen, dann heißt es „folge deinem Herzen“. Und wenn man einen schlechten Tag hat und sich nicht einmal die einfachste Differentialgleichung lösen lässt, dann sollen wir „das Glas nicht halb leer, sondern halb voll sehen“. Das sind alles Sprüche, die als Teebeutel-Weisheiten umringt von orientalischen Blumen bestimmt toll aussehen, aber was zum Zahnrad sollen sie bedeuten?

Als Maschinenbauerin kann ich mit diesen Gandalf-Sprüchen nicht viel anfangen. Und nachdem in den Ingenieurswissenschaften die allgemein verständliche Sprache die Mathematik ist, habe ich mich an einen mathematischen Ratgeber gewagt. Die hier aufgezählten Tipps sollen helfen einen Schritt zurück zu machen und intuitive Entscheidungen und spontanes Verhalten analytisch greifbar zu machen. Und so sehr Betrachtungen von Wahrscheinlichkeiten auch helfen können, im Endeffekt gilt immer noch: „Sich an jedem Moment zu erfreuen – das ist der Sinn des Lebens “.

37% direkt verwerfen

Hat man die Aufgabe aus einer Reihe von Bewerbungen die ideale auszusuchen, dann gestaltet sich das gar nicht so einfach. Es entsteht das Sekräterinnenproblem. Nehmen wir an, 100 Sekretärinnen haben sich auf die Stelle beworben. Man darf sie einzeln und nacheinander im Gespräch bewerten, aber Ablehnungen sind unwiderruflich und hat man sich entschieden, werden alle übrigen Bewerberinnen direkt nach Hause geschickt. Wie geht man nun am besten vor?

Die optimale Strategie, mit welcher man in 37% aller Fälle die beste Bewerberin einstellt, beginnt damit, dass die ersten 37% direkt verworfen werden. 37% klingt willkürlich? Es ist etwa 1/e. Danach wählt man die erstbeste, die besser ist, als alle bisherigen Bewerberinnen. Durch die anfängliche Ablehnung, eicht man sich, was man zu erwarten hat und wählt so das bestmögliche Ergebnis. Das funktioniert nicht nur bei Bewerbungen, sondern auch in der Paarung. Bei einigen Fischarten wurde genau diese Strategie beobachtet. Und auch bei uns Menschen gibt es einige, die sich in ihrer Jugend ausleben und mehrere Beziehungen führen bis sie sich für ihren Ehepartner oder -partnerin entscheiden. Problematisch wird es nur, wenn die Liebe des Lebens in den ersten 37% liegt. Oder wenn die ersten 37% der Beziehungen so unglaublich schlecht waren, dass die erste danach gleich angenommen wird, obwohl sie nur ein kleines bisschen besser ist. So ist man vielleicht zufrieden, aber die Liebe des Lebens wird man nicht erreicht haben. Die Strategie funktioniert auch bei der Wohnungssuche. Vielleicht nicht hier in München, aber bestimmt in Chemnitz oder Cottbus.

Nicht immer Gauß

Man ist auf einer Party mit vielen unbekannten Leuten. Man unterhält sich mit der ersten Person und sie ist unglaublich intelligent und gutaussehend. Mit der zweiten Person hingegen lässt sich kein gemeinsames Thema finden und die Person scheint im Raum die mental Jüngste zu sein. Die dritte ist in jeglicher Hinsicht medioker. Intuitiv legen wir über diese drei Eindrücke eine Gauß-Kurve und nehmen an, dass alle weiteren Personen auf dieser Party etwa der dritten entsprechen werden. Aber das stimmt nicht. Dadurch, dass die Stichprobenmenge zu klein ist, muss man davon ausgehen, dass jede der drei Personen, mit denen man gesprochen hat, ein Ausreißer in der Datenmenge aller Partybesucher ist. Es spielen viel mehr Faktoren eine Rolle. Wer hat die Party veranstaltet? Ist es eine Schwarzes-Loch-Party? Was ist der Altersdurchschnitt der Anwesenden? Möchte man ganz unvoreingenommen sein, kann man auf dieser Party direkt eine soziale Studie über den IQ der Anwesenden starten. Um sie auch repräsentativ zu machen, sollte man mit jeder Person reden und Aufzeichnungen machen. Und wenn man sich ganz beliebt machen möchte, kann man gleich ein kleines MATLAB-Skript schreiben, um zu überprüfen, ob der IQ auf der Party tatsächlich normalverteilt ist. Eine Zeile mit stats::swGOFT([x1, x2, …]) reicht schon, um die Daten mit dem Shapiro-Wilk-Test auf Normalverteilung zu testen. Und so hat man sich nicht nur von einem irreführenden ersten Eindruck gelöst, sondern hat sich im Handumdrehen zum Partylöwen entwickelt!

Vier Feldern gegen Vorurteilen

Vor dem Chicco in der Kaffee-Schlange trifft man Tom. Er ist sehr schüchtern, aber scheint nett zu sein. Auf die Frage, was er denn studiert, antwortet er nur mit einem undeutlichen Murmeln und man versteht nicht, ob es Mathematik oder TUM-BWL ist. Die meisten würden jetzt auf Mathematik tippen, denn Mathematiker sind im Schnitt schüchterner als TUM-BWLer. Aber andererseits ist gerade die CAD-Abgabe und es sind deutlich mehr TUM-BWLer in Garching unterwegs als sonst. Also die Wahrscheinlichkeit auf einen schüchternen TUM-BWLer zu treffen ist gerade viel höher als auf einen schüchternen Mathematiker. Abhilfe schafft eine einfache grafische Vier-Felder-Tafel. Mit der Annahme, dass das Mathematiker-TUM-BWLer-Verhältnis 1:10 ist und 75% der Mathematiker sowie 15% der TUM-BWLer schüchtern sind, dann ergibt sich folgendes Bild:

Und aus der einfachen Rechnung lässt sich schließen, dass es doppelt so wahrscheinlich ist, dass Tom TUM-BWLer ist als Mathematiker. Das kann man auch an der doppelt so großen Fläche bei TUM-BWL erkennen. Also sollten wir nicht frühzeitig urteilen und statt intuitiv etwas anzunehmen lieber einfach nachfragen, wenn die Antwort auf die Frage nach dem Studiengang nicht ganz verständlich ist.

Mathematische Ordnung

Wer seinem oder ihrem Studentenzimmer ein Makeover verpassen möchte, muss nicht gleich die hohe Kunst des Feng Shui lernen. Einfache Mathematik ist genauso geeignet. Wir Menschen empfinden bestimmte Verhältnisse als besonders schön. Der goldene Schnitt setzt eine lange Seite mit einer kurzen Seite ins Verhältnis und so erhält man die goldene Zahl. Gesichter und Körper mit einem goldenen Schnitt empfinden wir besonders attraktiv. Man findet ihn in Blumen und Schneckenhäusern aber auch in Formen wie dem Pentagramm. Und wer sich nicht gleich ein Pentagramm mit Kreide auf die Türschwelle zeichnen möchte, kann sich auch einen Ausdruck von Van Goghs Sternennacht an die Wand hängen. Die Lichtwirbel stellen nämlich Turbulenzen von Fluiden dar. Auch wenn eine analytische mathematische Beschreibung von komplizierten Turbulenzen noch nicht so einfach ist, so ist der Gedanke, Fluidmechanik in Gemälden zu finden, vielleicht entspannend und erheiternd. Falls nicht, so ist das Bild immer noch schön.

Vincent Van Gogh „Sternennacht“
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ea/Van_Gogh_-Starry_Night-_Google_Art_Project.jpg
Ein letzter Rat zu Ratgeber

Glaubt nicht an Ratgeber! Denn wer Ratgebern folgt, erliegt der Swimmer’s Body Illusion. Die meisten denken, dass der elegante und sportliche Körper eines Schwimmers durch das viele Training entsteht. Aber eigentlich ist es anders herum. Nur diejenigen, die einen eleganten und sportlichen Körper haben, werden Schwimmer. Der Körper ist Selektionskriterium und nicht das Ergebnis. Genauso ist es mit Ratgeberautoren. Sie sind von sich aus schon erfolgreich und glücklich und können es sich leisten, Selbsthilfebücher zu schreiben. Dass die Großzahl der Menschheit nicht erfolgreich ist, fällt nicht auf, denn sie schreiben keine Selbsthilfebücher. Also: Immer einen Schritt zurück machen und die Dinge von oben betrachten. Unsere Intuition leitet uns oft in die Irre und obwohl es gut tut, „dem Herzen zu folgen“, kann uns manchmal nur der Verstand helfen. Oder Ratgeberautoren. Aber die sollte man ja nicht ernst nehmen.

Aus 03/2019 von Elene Mamaladze

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