Über die Rolle und Verantwortung von Waffeningenieur*innen im Krieg
Alfred Nobel ist heutzutage vor allem durch die nach ihm benannte Stiftung bekannt, die Entdeckungen der Wissenschaft oder Aktivitäten für die Friedenssicherung ehrt und fördert. Für die Gründung dieser hinterließ er beinahe sein gesamtes Vermögen, was er in seinem Testament formulierte, um mit seinem Gewissen ins Reine zu kommen; zumindest posthum. Nobel ist nämlich der Erfinder des Dynamits, der Sprenggelatine und des Ballistits, einem Schießpulver, das die Kriegsführung und Waffenentwicklung seinerzeit revolutionierte. Das Interesse für Sprengstoffe kam nicht von ungefähr: sein Vater Immanuel betrieb in Russland eine Rüstungsfabrik, mit der er sich am Krimkrieg 1853-1856 ein großes Vermögen hatte aufbauen können.
Im Land der Krim, der Ukraine, tobt auch heute der Krieg. Die Medien werden dominiert mit Zahlen, Grafiken und Gesprächen rund ums Thema Ukraine. Was allerdings selten diskutiert wird ist die Rolle derjenigen, ohne die der moderne Krieg gar nicht möglich wäre. Menschen wie Alfred Nobel, sprich den Erfinderinnen und Ingenieurinnen, die in der Waffenindustrie ihr täglich‘ Brot verdienen. Welche Verantwortung haben sie für die Tragweite ihrer Entwicklungen, sind sie schuld am Leid in der Welt, zumindest teilweise?
Kann ich schuld daran sein, wenn ein Mensch einen anderen mit einer von mir entwickelten Waffe tötet? Diese Frage hört sich irgendwie abwegig an, als könnte sie jeder Dreijährige beantworten. Doch es ist eine moralische Frage, hat Hand und Fuß und ist sehr aktuell. Natürlich nicht, antworten viele mit folgender Argumentation: Die Aufgabe der Ingenieurinnen sei unmissverständlich und simpel. Als Ingenieur*in bekommt man eine Problemstellung, für die es gilt, eine Lösung zu finden. Sobald das getan ist, endet die Zuständigkeit. Verantwortung hätten Erfinder*innen aber sehr wohl, allerdings auf einer anderen Ebene. Die Brücke muss stehen, das Programm muss laufen und das Flugzeug muss fliegen. Doch so einfach ist das nicht. Im Dokument „Ethische Grundsätze des Ingenieurberufs“ vom Verein Deutscher Ingenieure von 2002 heißt es: „Die spezifische Ingenieurverantwortung […] verbietet, Produkte für ausschließlich unmoralische Nutzung (beispielsweise ausgedrückt durch internationale Ächtung) zu entwickeln und unwägbare Gefahren und unkontrollierbare Risikopotentiale zuzulassen“. Das Dokument ist aber lange kein Gesetz, sondern lediglich eine Empfehlung für Ingenieurinnen mit Gewissensbissen.
Dass Erfinderinnen, deren Produkte weittragende negative Folgen haben, sich eines Tages doch verantwortlich fühlen, wird nicht nur bei Alfred Nobel klar, sondern auch zum Beispiel beim Erfinder des Sturmgewehrs AK-47, Mikhail Kalaschnikow. Ursprünglich „nur“ zur Verteidigung der UdSSR gedacht begann mit dem Export der Waffe Russands an andere kommunistische Länder der kometenhafte Aufstieg der Verkaufszahlen der Waffe. Heute gilt die Kalaschnikow mit ca. 100 Millionen verkauften Exemplaren als eines der meistgehandelten und kopierten Gewehre der Welt. Das Gewehr wird allerdings auch von Terroristen, Kriminellen und Kindersoldaten verwendet, was den stolzen Erfinder in eine moralische Zwickmühle gezwängt hat. In einem Brief äußerte er seine Ängste dazu. Sein geistiger Schmerz sei unerträglich. Wie könne er als Christ orthodoxen Glaubens für die Millionen Toten verantwortlich sein? Je länger er lebe, desto mehr bohre sich diese Frage in seinen Kopf und desto mehr wundere er sich, wieso Gott dem Menschen erlaubt, so aggressiv und gierig zu sein. („Kalashnikov‚ feared he was to blame‘ for AK-47 rifle deaths“, www.bbc.com ,13. Januar 2014)
Die Menschheit bekriegt sich schon so lange wie es sie gibt, und das mit allen Mitteln und Möglichkeiten, die sie hat. Lohnt es sich, zwischen den Mitteln mit dem sie es tut zu differenzieren? Hart gesagt ist eine Metallstange ja etwas anderes als eine vollautomatische Waffe oder ein Spionageprogramm.
Diese Frage stellt sich zum Beispiel bei Waffen, die speziell für die Polizei konstruiert werden, um einen eigentlich guten Zweck, den Schutz des Staats und der Gesellschaft zu sichern. Jedoch gibt es leider keine friedlichen Waffen. Letztendlich werden sie alle entwickelt, um zu töten. Als Beweis könnte man die Atombombe als Abschreckungswaffe sehen, deren Erfindung ja bekanntlich nicht zu langen Friedensperioden geführt hat, wie ursprünglich geplant, sondern unmittelbar zum Kalten Krieg und zahlreichen Konflikten. Vor allem kann es vermeintlich friedliche Waffen auch dann nicht geben, wenn diese aus Unternehmen stammen, die ganz und gar nicht für Moral und Ethik stehen. Denn selbst wenn der Vertrieb von Waffen gut reguliert bleibt, ereignet sich doch immer wieder ein Fauxpas. So wurden etwa von 2005 bis 2007 deutsche Gewehre der Firma Heckler & Koch in Regionen Mexikos geliefert, für die es die Bundesregierung strengstens untersagt hatte. Kurz darauf landeten diese im mexikanischen Drogenkrieg: die Verantwortlichen von Heckler & Koch strichen die jeweiligen trotz Verbot belieferten Regionen einfach von der offiziellen Empfängerliste. („Tödliche Exporte – Wie das G36 nach Mexiko kam“, 23.09.2015, www.daserste.de) Klar, deutsche Gewehre landen zwar in den Händen ukrainischer Soldaten, aber auch über Umwege in denen der Terroristen des IS. Aufgrund solcher Vorfälle ist es sinnvoll nicht nur einige, sondern alle Waffen zu verurteilen, denn genau hier fehlt die Grenze zwischen gut und schlecht. Oft sind sich Erfinder*innen dessen nicht bewusst oder denken gar nicht erst darüber nach. Um auf eine moralische Frage zu antworten, kann man schwer richtig oder falsch sagen, das sind zumal keine moralischen, sondern höchstens naturwissenschaftliche Kategorien.
Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung antwortet Harald Buschek, einer der höchstgeschätzten Rüstungsingenieure Deutschlands, auf die Frage wie es um die Ethik der Waffenbauer steht: „Ethik des Waf- fenbauers? Schauen Sie: Das sind Fragen, mit denen wir uns gar nicht befassen.“ („Wer denkt sich sowas aus – Beruf Waf- fenentwickler“, 04.07.2012, www.sueddeutsche.de) Eine erschreckend leichte Antwort auf eine doch so schwierige Frage.
Dem entgegen steht allerdings die Meinung des deutschen Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker, einem wichtigen deutschen Atomphysiker und Wegbereiter der Atombombe . Besser wird die Rolle des Erfinders vom späteren Friedensforscher in Werner Heisenbergs Buch „Quantentheorie und Philosophie“ dargestellt. Im Gespräch über das Grauen und die Verantwortung der Wissenschaft gegenüber der Atombombenabwürfe mit Letzterem beschreibt von Weizsäcker diese in einem anderen Zusammenhang, einem gesellschaftlich-sozialen: „Der Erfinder […] hat ja ein praktisches Ziel vor Augen. Er muß überzeugt sein, daß die Erreichung dieses Zieles einen Wert darstellt, und man wird ihn mit Recht mit der Verantwortung dafür belasten. Allerdings wird gerade beim Erfinder deutlich, daß er eigentlich nicht als Einzelner, sondern im Auftrag einer größeren menschlichen Gemeinschaft handelt. Der Erfinder des Telephons etwa wusste, daß die menschliche Gesellschaft eine schnelle Kommunikation für wünschenswert hält. Und auch der Erfinder der Feuerwaffen handelte im Auftrag einer kriegerischen Macht, die ihre Kampfkraft steigern wollte.“ Und weiter: „An den Einzelnen wird man also nur die Forderung stellen können, daß er sein Ziel im großen Zusammenhang sehen müsse; daß er nicht um des Interesses irgendeiner kleinen Gruppe willen andere, viel weitere Gemeinschaften in Gefahr bringt.“ Auch fordert er die „sorgfältige und gewissenhafte Berücksichtigung des großen Zusammenhangs, in dem sich der technisch-wissenschaftliche Fortschritt vollzieht.“ („Quantentheorie und Philosophie“, Werner Heisenberg, 1986, S.82f)
Die wirkliche Frage ist also nicht etwa ob nun dieses richtiger sei als jenes, sondern ob man Dinge tun sollte, über die man später leicht die Kontrolle verliert, speziell wenn man sich deren Konsequenzen gar nicht erst bewusst ist. Die Uneinigkeit der Philosophie diesbezüglich unterstreicht die Tatsache, dass es dazu keine allgemeine Lösung geben kann. Jeder Mensch hat zu versuchen, seinen Platz in der Welt selbstverantwortlich auszufüllen, die Grenze dabei ist der eigene Moralapparat. Es bleibt eine persönliche Frage ohne universelle Antwort. Wer beispielsweise aktuell helfen will, Demokratie und Frieden zu sichern und sich deswegen in der Waffenindustrie engagieren will, muss sich nichtsdestotrotz als Individuum bewusst sein, dass Erfindungen entfremdet und entzweckt werden können, und man gleichwohl, mittelbar oder unmittelbar für alles, was damit passiert die Verantwortung trägt.
Hätte sich Nobel vor der Veröffentlichung seines Patents mehr Gedanken über die Vermarktung von Dynamit als Waffe machen sollen? Sollte man in den Universitäten und in den entsprechenden Branchen mehr zur moralisch-ethischen Auseinandersetzung anregen, damit unreflektierte Grundsätze wie der von Harald Buschek vermieden werden? Der Trend ist eher gegenläufig; Hörsaalnamen der TUM sind teilweise noch nach geschichtlich schwierig einzuordnenden Persönlichkeiten benannt (zu lesen in dieser Ausgabe im Artikel „Diesel, Kühne, Messerschmitt“) und Rüstungskonzerne halten Gastvorträge.
Wer helfen will und dabei gute Absichten hat, kann das auch anders tun, denn Krieg und Waffen wird es in der Weltgemeinschaft mit ihrem Aufbau wahrscheinlich immer geben, das zeigt die Geschichte. Diejenigen, die die Waffen bauen, mit Sicherheit ebenfalls. Aber du musst es nicht sein. Im Jahr 2002 äußerte Mikhail Kalaschnikow den Wunsch: „Ich würde vorziehen eine Maschine erfunden zu haben, die Arbeitern bei ihrer Arbeit hilft – zum Beispiel einen Rasenmäher“. („Kalashnikov: ‚I wish I‘d made a lawnmower‘“, www.theguardian.com, 30.07.2002)
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