Reisswolf: Sie sind eigentlich aus der Elektrotechnik und unterrichten doch uns Maschinenbauer. Was hat Sie dazu bewegt, Elektrotechnik für Maschinenbauer zu lehren?
Prof. Kennel: Das kann ich auf verschiedene Arten beantworten. Die juristisch oder verwaltungstechnisch einwandfreie Antwort ist sicherlich, weil ich gefragt worden bin (lacht). Das Fach Elektrotechnik wird traditionsgemäß auch im Maschinenwesen von Kollegen der Elektrotechnik gelehrt. Ich glaube, das ist auch ganz sinnvoll. Nachdem Kollegin Doris Schmitt-Landsiedel leider erkrankt ist und nicht weiter machen konnte, hat man jemanden gesucht, der das übernimmt. Da ich in meiner Vorgängerzeit in Wuppertal bereits Maschinenbaustudenten unterrichtet hatte, war ich auch hier bereit dazu. Beide meiner Kinder sind Ingenieure – meine Tochter hat sogar das Maschinenwesen-Diplom – und insofern ist mir die Denkweise des Maschinenwesens nicht ganz fremd. Elektrotechniker und Maschinenbauer leben in unterschiedlichen Welten, aber das Brückenschlagen dazwischen macht mir durchaus Spaß.
Reisswolf: Was sind denn die besonderen Herausforderungen bei der Kommunikation mit Studierenden aus dem Maschinenwesen?
Prof. Kennel: Die Schwierigkeiten haben nichts mit Maschinenbau an sich zu tun. Die größte Herausforderung ist, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Maschinenbaustudenten zu mir kommen, sie kein großes Interesse an dem Fach haben. Das hat nichts mit dem Fach zu tun, sondern mit der Struktur des Studiengangs Maschinenwesen. Die Priorität in den ersten Semestern liegt auf den GOPs und daher muss sich das Fach Elektrotechnik hintenanstellen. Wir versuchen nicht, aus Maschinenbauern Elektrotechniker zu machen, sondern wir möchten die Grundlagen vermitteln.
Ich bin nicht der Meinung, dass man Motivation über Prüfungsdruck erzeugt, aber dieser Prüfungsdruck in den anderen Fächern zieht uns doch eine ganze Menge Energie ab. Die anderen Schwierigkeiten in der Kommunikation sind überwindbar.
Die Denkweise der Elektrotechnik unterscheidet sich grundlegend von der im Maschinenbau. Das rührt zum Teil auch daher, dass ein Elektrotechniker nicht erstmal probiert und dann rechnet, denn das geht schief. Im Maschinenbau konnten Gottlieb Daimler oder der Carl Benz eine Idee ausprobieren, ohne groß zu rechnen. Das Auto funktioniert dann erst eher schlecht als recht, aber mit der Zeit kann es weiterentwickelt werden. Das kann ein E-Techniker nicht machen, weil er nicht sieht, was passiert. Also muss man erst rechnen und dann probieren. Das ist ein grundlegender Unterschied, der manchmal auch zu Missverständnissen führt.
Da man elektrotechnische Phänomene nicht sehen kann, muss man sich mit Modellvorstellungen begnügen, von denen alle wissen, dass sie falsch sind. Aber das macht nichts, da sie trotzdem hilfreich sind. Magnetismus versteht heute immer noch niemand. Man spricht von magnetischem Fluss, aber da fließt nichts. Diese Herangehensweise ist dem Maschinenbauer eher fremd.
Der Umgang der Elektrotechnik mit der Mathematik ist auch etwas respektloser als im Maschinenbau. Wir haben kein Problem, Null mit unendlich zu multiplizieren. Da stehen einem Maschinenbauer die Haare zu Berge, Mathematikern sowieso.
Reisswolf: Was sind dann die Herausforderungen, wenn sie diese unsichtbaren Modelle vermitteln?
Prof. Kennel: Die Herausforderung ist tatsächlich, das Unsichtbare begreifbar zu machen. Wir haben nur eine Handvoll Gleichungen, aber um diese zu verstehen, braucht man höhere Mathematik. Meiner Meinung nach wäre die Elektrotechnikvorlesung in höheren Semestern besser aufgehoben, aber daran kann ich nichts ändern. Ich versuche zum Beispiel den Zusammenhang von Drehzahl und Spannung in der Vorlesung mit Experimental-Modellen klar zu machen, aber das kann ich in diesem digitalen Semester auch nicht mehr.
Reisswolf: Wie würden Sie die Vorlesung angehen, wenn sie später wäre?
Prof. Kennel: Ich bräuchte nicht so viel auf Mathematik zu verzichten. Ich könnte mehr auf mathematische Grundlagen wie Integralsätze Bezug nehmen und damit die Maxwell’schen Gleichungen erklären. Die versteht niemand ohne Integralsätze. Und darauf baut die ganze Elektrotechnik auf.
Reisswolf: Ich muss gestehen, ich habe auch vergessen, was sie bedeuten.
Prof. Kennel: Man muss die Gleichungen nicht auswendig können. Eine Übersetzung wäre: Wenn ich um ein Haus herum gehe, dann weiß ich, was drin ist. Ist dem so? Je nachdem, wie laut die Hausbewohner sind.
Reisswolf: Tatsächlich habe ich E-Technik zweimal geschrieben und beim zweiten Mal hatte ich natürlich mehr Hintergrundwissen und dementsprechend lief es viel besser.
Prof. Kennel: Mir ging es ja auch so. Ich habe im dritten Semester eine Vorlesung über elektrische Maschinen gehört, weil es im Studienprogramm so vorgesehen war. Ich habe kein Wort verstanden. Nichts! Und im siebten Semester habe ich sie mir noch einmal angehört und dann die Prüfung geschrieben. Und das ging sehr gut, denn da war das Hintergrundwissen da. Aber für die anderen, die das im siebten Semester nicht nochmal gehört haben, war das ein Horrorfach. Diese falsche Anordnung im Studienplan hat also katastrophale Folgen.
Reisswolf: Was hat sich im Rahmen von Corona an Ihren Vorlesungen geändert?
Prof. Kennel: Wir haben sie aufgenommen. Im allgemeinen Ablauf erkenne ich da keinen großen Unterschied, da es in einer so großen Vorlesung mit 500 Studierenden auch in Präsenz kein Zwiegespräch gibt. Aber ich konnte schon am Ausdruck der Leute eine Reaktion erkennen und digital geht das jetzt noch weniger. Das finde ich sehr schade.
Reisswolf: Warum würden Sie sagen, dass Elektrotechnik für Maschinenbau so wichtig ist?
Prof. Kennel: Naja, sie können es mal ohne Elektrotechnik versuchen (lacht). Über das Thema müssen wir nicht diskutieren. Ohne Strom läuft in der Zukunft nichts mehr. Natürlich könnte man aus Maschinenbausicht sagen, dass sich die Elektrotechnik darum kümmern soll. Aber als Maschinenbauer muss man den Elektrotechniker zumindest verstehen und mit ihm kommunizieren können. Da sind die Welten sehr unterschiedlich. Sogar der Sprachgebrauch! Manche Begriffe haben bei uns eine ganz andere Bedeutung (zum Beispiel der Begriff „Maschine“).
Reisswolf: Fahren Sie schon ein Elektroauto? Was halten Sie generell von Elektroautos?
Prof. Kennel: Wenn’s nicht so teuer wäre, hätte ich schon längst eins (lacht). Ich finde das als Antriebstechniker eigentlich eine Blamage, dass die Elektroautos von Patentanwälten und nicht von uns Ingenieuren gefahren werden. Aber Sie können sich vorstellen, warum das so ist. Die Zukunft liegt auf jeden Fall in erneuerbarer Energie. Einen Antrieb mit Wasserstoff sehe ich auch als Alternative, aber es heißt nicht umsonst „Knallgas“. Außerdem sind Wasserstoffautos auch nicht emissionsfrei, denn bei der Verbrennung von Schmieröl entstehen Abgase.
Aber tatsächlich ist die Technologie von modernen Antrieben nichts neues. Tesla hat ursprünglich eine uralte Technik verbaut, sie wollten nur zeigen, dass es geht, während andere nur diskutiert haben. Andere, wie BMW, versuchen es mit modernen Ansätzen.
Elektromobilität ist für mich eine ausgemachte Sache, aber der störendste Faktor ist die Batterie. Man kann mit Strom alles machen, nur nicht speichern. Eigentlich muss man Strom in dem Augenblick erzeugen, in dem man ihn braucht. Beim Fahrzeug ist das schwierig, daher muss man zwischenspeichern. Alternativ wird das Fahrzeug nur bei Bedarf, zum Beispiel über kontaktloses Laden, mit Strom versorgt. Aber ich will nur das Auto laden und nicht die Schwiegermutter, die über die Straße geht. Irgendwie müssen wir die Batterie loswerden – allein wegen der Ressourcen. Die Technologien dafür, wie Oberleitungen oder Induktion, gibt es schon, aber diese machen nur mit Stromflatrates Sinn. Aber solange Leute mit Benzin Geld verdienen wollen, müssen noch viele Probleme gelöst werden.
Reisswolf: Sie beschäftigen sich mit einem großen Thema an Ihrem Lehrstuhl – regenerative Energien. Welche Projekte haben Sie zurzeit?
Prof. Kennel: Also wir suchen nach Stromrichtern, die besser als die vorhandenen Stromrichter geeignet sind, um fluktuierende Energien ins Netz einzuspeisen. Leistungselektronik wird immer als modern betrachtet und das ist sie auch. Und seitdem die Regierung den Begriff fehlerfrei aussprechen kann, wird die Forschung in die Richtung auch gefördert. Aber die verfügbaren Konzepte, um die Stromrichter mit Leistungselektronik zu verbessern, sind aktuell nur unzureichend genutzt. Darum suchen wir ganz gezielt nach Topologien, die sich besser zum Netz oder der Quelle verhalten. Manches macht die Quelle nicht gerne. Wenn Sie sich eine Solarzelle anschauen und da den Strom mithilfe eines Umrichters rausziehen, dann geht das nur pulsierend – denn ein Umrichter kann nur schalten und den Strom nicht kontinuierlich herunterfahren. Das mag die Solarzelle aber gar nicht gerne. Man versucht, das Problem mit Kondensatoren zu lösen, aber das ist kein gutes Konzept. Es gibt also noch viel Verbesserungsbedarf auf dem Gebiet. Wir erfinden keine neuen Sonnenstrahlen, sondern suchen einen Weg, die Energie, die die Quelle bereits liefert, effizienter zu nutzen. Wenn man nicht so viele Verluste durch die Gegend hustet, dann kann man auch die Ressourcen schonen.
Bei Solarzellen gibt es die Frage, ob sie sich wie eine Spannungs- oder eine Stromquelle verhält. Die beiden Arten sind sehr unterschiedlich. Tatsächlich ist die Solarzelle aber etwas in der Mitte und das bedeutet, dass keines der derzeit existierenden Konzepte wirklich gut passt. Hier kann man also wirklich noch große Fortschritte machen.
Reisswolf: Ich fand Elektrotechnik immer ein bisschen wie Magie, weil man als Maschinenbauer Zahnräder und andere Maschinenelemente anfassen kann und Elektrotechnik nur aus abstrakten Konzepten besteht. Ein anwendungsbezogenes Praktikum wäre auf jeden Fall interessant.
Prof. Kennel: Wir bieten allerhand Vorlesungen und Praktika an, aber da verirrt sich nur selten ein Maschinenbauer hin. Sie sind auf jeden Fall herzlich willkommen! Bei den meisten Praktika sehen Sie aber nur etwas auf dem Oszilloskop oder dem Rechner. Sie dürfen also nicht an die Welle fassen, um etwas zu spüren.
Reisswolf: Wie laufen dann die Versuche in der Elektrotechnik ab? Im Maschinenbau werden zum Beispiel Zahnräder eingespannt, der Versuch durchgeführt, danach ausgewertet und der Schaden begutachtet.
Prof. Kennel: Sowas machen wir auch, aber wir bauen natürlich keine Zahnräder ein. Wir stecken Drähte um und das ist ziemlich narrensicher gemacht. Insofern also nicht wirklich realitätsnah, denn bei der Entwicklung in der Industrie können Sie viele Fehler machen. Aber natürlich machen wir auch neue Forschung.
Wir machen zum Beispiel viel auf dem Gebiet der geberlosen Regelung. Wie kann ein Motor geregelt werden, ohne seine Position zu messen? Auf dem Gebiet sind wir auch weltweit führend. Es macht Spaß, weil sich das Thema damit beschäftigt, wie eine Information aus einem Nebeneffekt gewonnen werden kann. Der Motor ist, wenn man so will, ein Geber – nur wird er nicht so benutzt. Man benutzt ihn, um ein Drehmoment zu erzeugen. Sein Verhalten hängt aber von seiner Position ab und die Position muss bestimmt werden. Inspiriert ist das eigentlich von Maschinenbauern, die früher vor ca. 100 Jahren mit ihrem Schraubenzieher gehorcht und so eine Frequenzanalyse gemacht haben. So machen wir das natürlich nicht mehr.
Ein weiteres Gebiet, auf dem wir arbeiten, ist die Prädiktivregelung. Das hat in China wahnsinnig Anklang gefunden und seit gestern weiß ich auch, warum. In China stellt Einfachheit ein essenzielles Leitprinzip dar und daher ist für sie die prädiktive Regelung auch so ansprechend. Ein weiterer Punkt ist, dass die Prädiktivregelung nicht auf der herkömmlichen Regelungstechnik beruht. Sie ist damit relativ unabhängig.
Reisswolf: Es gibt nicht viele Vorlesungen über Züge, aber Sie bieten den Schwerpunkt elektrische Bahnen an. Wieso ist das Angebot in dem Bereich nur so eingeschränkt?
Prof. Kennel: Der Grund ist, dass die Technik im Zug keine andere ist als die im Auto. Das ist von der elektrischen Antriebstechnik her das gleiche. Das ist alles ganz normale Antriebstechnik und es macht keinen Unterschied, ob sie eine dieselelektrische Lokomotive oder einen LKW mit entsprechendem Elektroantrieb fahren.
Sie können so lernen, was die Bahn an Fehlern gemacht hat, als sie zum Beispiel die Neckartalbahn von Heidelberg nach Heilbronn elektrifiziert hat. Damals gab es noch keine Schnellstrecke, das heißt, die ICEs mussten sich durch den Kraichgau quälen und dort gab es keinen Platz für Güterzüge. Also wurde die Strecke der Neckartalbahn elektrifiziert und die Güterzüge darauf geleitet.
Zwei Jahre später waren alle Gleise im Eimer. Wenn man weiß warum, ist das logisch. Ein Elektroantrieb hat ein anderes Drehmoment und Drehzahlverhalten als ein Verbrennungsmotor. So ein Elektromotor kann im Stillstand das Drehmoment voll entwickeln. Wenn nun ein Güterzug anzieht, verschleißt das die Gleise. Deshalb musste man schon nach kurzer Zeit alle Gleise austauschen. Daraus kann man lernen, dass man einen Verbrennungsmotor nicht einfach so durch einen Elektromotor ersetzen kann. Bei den ersten Versuchen von Automobilfirmen war das Getriebe auch nach kurzer Zeit nicht mehr zu gebrauchen. Tesla hat sich anfangs auch gewundert, warum die Reifen fünfmal so schnell verschlissen sind. Tesla hat daraus gelernt und auch den Rest der Mechanik angepasst, weil sich der Antrieb eben ganz anders verhält.
Reisswolf: Das ist ein schönes Beispiel, wie Elektrotechniker und Maschinenbauer zusammenarbeiten müssen, um ein Problem in den Griff zu kriegen.
Prof. Kennel: Ja, eindeutig! Ein weiteres Beispiel, was aus der Automobilindustrie kommt, ist der sogenannte Feldschwächbereich, also eine Drehmoment- bzw. Drehzahlcharakteristik. Das kennt man vom Verbrennungsmotor mit Schaltgetriebe. Nur für die elektrische Maschine ist das Blödsinn. Die Maschine zu vergewaltigen, um diese Charakteristik nachzuahmen, ist einfach Irrsinn. Das Gute am elektrischen Antrieb ist doch, dass ich nur die Energie brauche, die ich auch umsetze.
Reisswolf: Wie wird die Fakultät Elektrotechnik in die geplante Struktur der Schools eingegliedert?
Prof. Kennel: Die Energietechnik wird in die School of Engineering eingegliedert, also praktisch in den Maschinenbau und der Rest kommt zur Informatik. Damit geht leider das interdisziplinäre Gebiet der Mechatronik verloren. Das ist schade, denn hier sind wir in Deutschland weltweit führend. Und hier werden uns die Chinesen aus kulturellen Gründen auch nicht so schnell überholen.
Als Mechatroniker muss man Grenzen überschreiten. Das tut ein Chinese normalerweise nicht und außerdem muss man die Grenzen überhaupt erst mal kennen.
Ich meine, dass das ein zukunftsträchtiges Fach ist. Ich habe schon vor 15 Jahren meinen Studenten in der Antriebstechnik gesagt, dass sie unter keinen Umständen arbeitslos sein werden. Und das stimmt, denn ich habe noch keinen Antriebstechniker oder Leistungselektroniker gesehen, der arbeitslos ist.
Reisswolf: Sie sind ja jetzt leider nicht mehr so lange da…
Prof. Kennel: Meine Frau sagt „zum Glück“ (lacht).
Reisswolf: Wie lange sind Sie noch genau da?
Prof. Kennel: Mein Pensionierungsdatum ist am 31. März. Aber ich meine, es ergibt keinen Sinn, wenn ich TE 1 mache und jemand anderes TE 2 übernimmt. Daher halte ich noch die TE 2, damit es einen sauberen Übergang gibt. Ab dem nächsten Wintersemester wird das Kollege Herzog übernehmen.
Reisswolf: Welche Pläne haben Sie für danach?
Prof. Kennel: Fragen Sie meine Tochter und Enkelinnen. Meine Tochter ist Ingenieurin, aber mittlerweile voll und ganz Mama. Ich werde sicherlich viel mehr mit meiner Familie unternehmen. Aber meine Arbeit hier wird auch nicht abrupt aufhören. Momentan habe ich hier fast 40 Doktoranden und die möchte ich natürlich nicht hängen lassen. Einen Nachfolger werde ich nicht haben, denn der Lehrstuhl wird nicht nachbesetzt werden. Das ist eine Entscheidung, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Als die Sache mit den Schools spruchreif wurde und man über meine Nicht-Nachfolge nachgedacht hat, habe ich gesagt, dass das ein großer Fehler ist. Das Einzige, was die Kollegen vom Maschinenbau an uns interessiert, ist die Antriebstechnik. Ich würde die nicht aufgeben. Ich wünsche, dass ich nicht Recht habe, aber vermutlich habe ich das. Da es keine Antriebstechnik mehr geben wird, sehe ich da eine weitere Lücke klaffen zwischen Elektrotechnik und Maschinenbau. Die Antriebstechnik hat hier eine Brückenfunktion.
Reisswolf: Gab es für Sie Effekte wegen des Wechsels des Präsidenten?
Prof. Kennel: Nein. Ich war, vielleicht einer der wenigen, der mit dem alten Präsidenten nicht so viel Probleme hatte. Starke Persönlichkeiten haben immer zwei Seiten. Das erste Mal hat er mich beeindruckt, als ich hierher berufen wurde.
Ich habe mich nicht gleich entschieden, denn ich war wirklich nicht darauf eingestellt, hierher zu kommen. Plötzlich ruft mich meine Frau an und meint, mich hat gerade ein Herr Herrmann angerufen, kennst du den? Meine Antwort war: Dem Namen nach kenne ich den schon. Er hatte sich ihr als den Präsidenten der TU München vorgestellt und da meinte sie, das kann ja jeder sagen. Da hat er sie am Telefon tatsächlich überzeugt, dass er wirklich der Präsident ist. Und sie möchte mich doch überreden, nach München zu kommen.
Solche Sachen bringt ein Prof. Herrmann fertig. Das hat mich sehr beeindruckt, denn wenn er etwas will, dann setzt er Himmel und Hölle in Bewegung. Herrmann war für die TU wirklich Gold wert. Man kann sicherlich über einzelne Entscheidungen diskutieren, aber er war der Richtige. Seine Fußstapfen sind sehr groß.
Reisswolf: Sie haben einmal in der Vorlesung gesagt, sie haben früher nicht verstanden, was Elektrotechnik ist und deshalb haben Sie es studiert.
Prof. Kennel: Ich erinnere mich! Mich hat es immer gestört, wenn ich etwas nicht richtig verstanden habe. Oder wenn ich glaubte, etwas nicht richtig verstanden zu haben. Als ich am Gymnasium anfing, war ich in Mathematik nicht so gut, aber in Physik war ich sehr gut. Das hat sich im Lauf der Schulzeit plötzlich umgedreht. In der Physik gab es einfach Sachen, die mir fremd waren. Elektrotechnik war eine davon. Bei der Elektrotechnik hatte ich den Eindruck, das muss ich hinkriegen. Es gab damals Experimentierbaukästen von Kosmos, unter anderem einen namens „Radiomann“, den ich super zusammengebaut habe und bei dem alles funktioniert hat. Und dann gab es einen, der hieß „Elektromann”, in dem es darum ging, Motoren zu bauen und das hat überhaupt nicht funktioniert. Heute weiß ich, warum. Wenn man die Bedienungsanleitung nicht durchliest und nur nach den Bildern geht, dann übersieht man, dass man das Blechpaket isolieren muss.
Nach dem Abitur hat sich die Gelegenheit geboten, Elektrotechnik zu studieren. Ich hatte mich eigentlich in Karlsruhe beworben, aber ich wurde dann in Kaiserslautern angenommen. Das war eine neue Universität. Im Nachhinein war das ein Glücksgriff, weil ich mit 25 Studierenden angefangen habe. Da kannte jeder jeden und man hat sich immer gegenseitig geholfen. Von den 25 haben 11 das Diplom gemacht. Das war eine kleine Truppe und man hat viel gelernt. Wenn ich mit den 500-1000 in Karlsruhe angefangen hätte, dann wäre das nicht so gelaufen. Aber selbst in Kaiserslautern haben sich im dritten Semester die elektrischen Maschinen gegen mich gewehrt! Das war etwas, was mir nicht gepasst hat.
Als ich mit dem Studium fertig war, hatte ich die elektrischen Maschinen besser im Griff, aber dann haben mir die Finite-Elemente-Programme nicht gefallen. Als Ergebnis der Berechnungen gab es immer ein Magnetfeld. Deren Verlauf hat mich häufig verwundert, weil ich mich nicht so verhalten würde, wenn ich ein Magnetfeld wäre. Aber das ist von meinen Betreuern nicht infrage gestellt worden. Ich dachte mir immer, dass da auf der physikalischen Seite mehr dahinter sein muss.
Als ein neuer Lehrstuhl zu Leistungselektronik aufgemacht wurde, habe ich zugegriffen. Der Professor wollte aber, dass ich verteilte Intelligenz mache. Damals waren die Prozessoren ziemlich schwach auf der Brust und daher wurden Systeme entwickelt, die die Arbeit auf mehrere zusammengeschaltete Prozessoren aufteilt. Heute wird das über Software gelöst.
Mich hat das aber überhaupt nicht interessiert. Ich wollte wissen, wie ich meinen Antrieb dazu kriege, das zu machen, was ich will. Irgendwann konnte ich mich durchsetzen und dann habe ich an der prädiktiven Regelung gearbeitet. Diese haben mein Leben geprägt. Das steckt hinter der Aussage, dass sich die elektrische Maschine immer gegen mich gewehrt hat.
Reisswolf: Haben sie die elektrischen Antriebe jetzt gezähmt?
Prof. Kennel: Das kann man nicht sagen. Man kann die Natur nicht zähmen! Aber wir sind freundlicher zueinander geworden.
Prof. Kennel: Wenn ihr möchtet, würde ich euch gerne noch das Labor zeigen.
Das hier ist ein kleines Flugzeug zur Stromerzeugung. Es kann automatisch starten, steigt auf die entsprechende Höhe und fliegt in 8-en, damit sich das Kabel nicht verdreht. So wird durch den Wind Energie erzeugt. Es nimmt viel weniger Platz ein als ein Windrad. Wir halten das für lukrativ, in dem Sinne, dass es wenig Aufwand bedeutet. Für eine Großstadt wie München ist das nicht geeignet, aber es gibt genug andere Gegenden. Wenn man an einer Stelle Energie braucht, kann dieses Flugzeug schnell auf dem LKW dahingefahren werden. Oder es kann auch in Gegenden ohne Infrastruktur eingesetzt werden. Das Flugzeug startet erst mit Propellern im Motorbetrieb und wandelt dann erst die Energie mit den gleichen Propellern im Generatorbetrieb um. Das ist genau der große Vorteil, dass das beides in einem ist. Solche Projekte machen Spaß. Die ersten drei Versuche sind natürlich im Sand gelandet. Inzwischen funktioniert das jedoch – und wir konnten ein Spin-Off im EXIST-Programm gründen.
Reisswolf: Das ist wirklich sehr interessant! Wir bedanken uns für das spannende Interview und dafür, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben.
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