Zu Besuch beim iwb

Reisswolf: Beginnen wir das Interview mit einer Frage an Sie beide. Die Institutsleitung ist auf zwei Professoren verteilt. Warum ist das so und wie ist die Aufgabenverteilung und Zusammenarbeit bei Ihnen?

Prof. Zäh: Das hat historische Gründe und geht zurück bis ins Jahr 1993, als unser gemeinsamer Amtsvorgänger Joachim Milberg in den BMW-Vorstand berufen wurde. Im Zuge dessen hat man den damaligen Lehrstuhl geteilt. Damals ist Prof. Reinhart, von BWM kommend, berufen worden und Herr Milberg behielt den anderen Lehrstuhl noch mit der Option, zurückkehren zu können. Dies hat er aber nicht getan. Später wurde dann dieser Lehrstuhl ausgeschrieben und ist mit mir besetzt worden. Auch bei unserer engen Zusammenarbeit ist die fachliche Zuordnung ziemlich klar: Herr Reinhart kümmert sich um die Betriebswissenschaften und die Montagetechnik und ich mich um die Werkzeugmaschinen und die Fertigungstechnik. Wenn Sie iwb als Kürzel nehmen, steht Herr Reinhart für das b und ich stehe für das w.

Wenn sie iwb als Kürzel nehmen, steht Herr Reinhart für das b und ich für das w

Prof. Reinhart: Vielleicht noch eine Anmerkung zum i, das steht tatsächlich noch für Institut, obwohl es ja als kleinste Einheit für die Lehre und Forschung bei uns die Lehrstühle gibt. Aber nachdem wir so eine lange Tradition haben – wir wurden von Ludwig II. 1875 gegründet, sind also fast so alt wie diese Universität – heißt es noch immer Institut. Als dann im Rahmen der Hochschulreform in den 1980er Jahren der Begriff Institut für einen etwas größeren Zusammenhalt definiert wurde, der drei bis vier Lehrstühle umfasst, haben wir dennoch das i in unserem Kürzel und in unserem Logo behalten. Bei dem b für die Betriebswissenschaften lege ich immer großen Wert darauf, dass es nicht mit Betriebswirtschaft zu verwechseln ist. Bei uns geht es um die wissenschaftliche Begründung der Führung von Betrieben, insbesondere natürlich Produktionsunternehmen.

Reisswolf: Sie haben sich auch selbst als Konstrukt iwb bezeichnet. Sie sagen auch, dass durch diese Synergie eins plus eins mehr als zwei ist. Was steckt hinter diesem Motto?

Prof. Reinhart: Bei uns ist eins plus eins hin und wieder mehr als zwei, da wir viele Dinge gemeinsam durchdenken und über-legen und daher in der internen Diskussion oftmals auf viel bessere Ideen kommen als wenn jeder für sich in seinem stillen Kämmerchen neue Dinge und Ideen generieren würde. Der andere große Vorteil ist, dass wir uns gegenseitig vertreten können. Wir führen eine sehr offene Kollegialität, je-der kann beim anderen reinschauen, kann mitbekommen, welche Projekte laufen, wo Probleme und wo Highlights sind. Wir teilen uns die Probleme genauso wie den Genuss eines bestimmen Erfolges. Wir sind immer beide Ansprechpartner für alle Mitarbeiter. Wir führen ein gemeinsames Budget, wir führen eine gemeinsame Personalbetreuung und wir führen auch eine gemeinsame Projektlandschaft. Natürlich gibt es trotzdem Zuordnungen. In erster Linie eine fachliche Zuordnung. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die sich zum Beispiel mit Fertigungstechnik, mit Werkzeugmaschinen oder mit Lasertechnik beschäftigen, sind bei Herrn Zäh angedockt und er ist dann auch ihr Doktorvater. Aber auch da steht jeder von uns beiden für Fragen zur Verfügung. Das ist das schöne, dass wir da uns gegenseitig ergänzen und austauschen können.

Bei uns ist eins plus eins hin und wieder mehr als zwei

Prof. Zäh: Durch die gemeinsame Nutzung des Verwaltungs- und technischen Bereiches kommt auch noch hinzu, dass wir dadurch vor allem im Werkstattbereich gute Synergieeffekte nutzen können. Auch in an-deren Bereichen wie der Öffentlichkeitsarbeit und in der Rechenadministration ist die Zusammenarbeit sehr nützlich.

Reisswolf: Apropos Werkstätte. Das iwb ist für seine Werkstätten und das Labor bekannt. Welche Maschinen sind dort zu finden?

Prof. Reinhart: 80-85 % der Fläche sind eigentlich Laborfläche, auf der wir Untersuchungen für die verschiedensten wissenschaftlichen Fragestellungen durchführen. Nur etwa 10-15 % sind tatsächliche Werk-stätten, in denen Teile entstehen, die wir für unsere Versuche brauchen. Da sind dann die typischen Fertigungsmaschinen, angefangen von der Säge über die Drehmaschine, Fräsmaschine, Schleifmaschine, alles was man so braucht, um Teile zu fertigen, vertreten. Im Labor ist noch einiges mehr zu finden. Da hat jeder von uns seinen eigenen Stolz. Mein größter Stolz ist natürlich das Batteriefertigungslabor, das wir hier in den letzten 10 Jahren aufgebaut haben. Eine Investition von zwischenzeitlich 25 Millionen Euro, mit Trockenraum und Reinraum mit der Hauptaufgabe, eine komplizierte chemische technische Thematik untersuchen zu können. Die Beschichtungsmaschinen sind spannend, aber genauso auch die Automaten, die die einzelnen Kathoden und Anoden der Batteriezelle aufeinanderstapeln bis hin zum Befüll-Labor, in dem wir die Elektrolyten einfüllen.

Prof. Zäh: Auch ich würde für meinen Bereich viele Dinge nennen. Die drei großen Laserzellen, an denen wir unter sehr hohen Sicherheitsstandards mit sehr hoher Leistung Laserversuche durchführen können, sind sicher mit an vorderster Stelle. Zum zweiten ist der Bereich Rührreibschweißen, der bei uns recht stark etabliert ist, zu erwähnen. Dafür haben wir spezielle Werkzeugmaschinen und einen Schwerlastindustrieroboter. Der dritte Punkt ist unser jüngst in Betrieb gegangenes Labor für die additive Fertigung mit 130 qm für die pulverbettbasierte Fertigung mit verschiedenen Werkstoffen wie Metall und Kunststoff. Und der vierte Punkt ist der Werkzeugmaschinenbereich, der sich aus vielen einzelnen kleineren Bausteinen zusammensetzt.

Reisswolf: An das Thema Batterien möchten wir gleich anknüpfen. Das ist ein sehr wichtiges Zukunftsthema, sei es wegen zunehmender Elektromobilität oder wegen des elektrische Fliegens. Welche Herausforderungen ergeben sich bei Ihren Untersuchungen hinsichtlich der Rohstoffe und Nachhaltigkeit?

Prof. Reinhart: Es ist erst einmal nicht unser zentrales Ziel, das Thema Rohstoffe nochmal zu beforschen, da gibt es andere, die das besser können. Aber natürlich bewegt uns das auch. Die Rohstoffe, gerade bei der Lithium-Ionen-Zelle, sind oft problematisch. Beispielsweise Kobalt ist, was die Abbaubedingungen, die Belastung der Menschen und die Umwelt in den Regionen angeht sehr problematisch. Als nächstes haben wir Lithium, bei dem die Ausbeute sehr gering ist. Wir müssen ungefähr eine Tonne Material abbauen, um ein Gramm Lithium zu bekommen. All das sind schon Restriktionen, die uns auch Sorgen machen. Wir können aber darauf nur antworten, indem wir versuchen, das Material, das wir bekommen, maximal auszunutzen. Das bedeutet keinen Abfall, keinen Verlust, keine Verschwendung von Material. Ein Forschungsansatz, den wir besonders verfolgen, ist Kosten, Fertigungszeit und Qualität der Batterien zu optimieren. Das klassische, verbrennungsmotorisch getriebene Auto ist heute unglaublich günstig, für das, was es bietet. Das ist so, weil man jetzt schon 120 Jahre übt, wie man so ein Auto produziert. Jahr für Jahr werden da Verbesserungen in der Produktion eingeführt. Unser Ziel ist es, ein ähnliches Niveau zu erreichen, bei hoher Stückzahl, durch laufendes Training und Verbesserungen in kleinen und großen Schritten die Kosten ebenso zu senken, schneller zu produzieren und höhere Qualität zu erreichen.

Reisswolf: Wenn Sie jetzt eine Batterie entwickelt haben, was passiert dann damit? Wird sie von anderen Projekten weiterverwendet?

Prof. Reinhart: Da haben Sie einen ganz schlimmen Punkt erwischt. Ich muss ehrlich sein, das geht zurzeit tatsächlich auf die Sondermülldeponie. Es gibt noch keine Möglichkeiten, ein Recycling der Batteriematerialien zu realisieren, aber wir arbeiten daran. Wir versuchen daher natürlich so wenig Probestücke wie nur möglich zu machen und trotzdem unsere Erfahrungen und Erkenntnisse zu sammeln. Die funktionierenden Zellen geben wir teilweise an Projektpartner an anderen Standorten in Deutschland oder Europa, die dann weiter damit experimentieren. Diese untersuchen beispielsweise das Ladeverhalten oder die Lebensdauer einer Batterie. Aber auch die werden am Ende auf die Sondermülldeponie gebracht. Das ist wirklich noch ein schwieriges Thema.

Reisswolf: In welche Richtung geht es in Zukunft in dem Themenbereich Additive Fertigung?

Prof. Zäh: Ich würde sagen, dass die Additive Fertigung momentan im Begriff ist, sich auszudifferenzieren. Wir haben lange Zeit sehr stark auf reine Pulverbettverfahren gesetzt, mit dem Ergebnis, dass relativ viel Pulver nicht verfestigt wurde, welches dann wieder aufbereitet werden musste. Allerdings leidet dabei in der Regel die Qualität. In jüngster Zeit sind Verfahren publiziert worden, die pulveradditive mit spanenden Verfahren kombinieren. Innerhalb einer Maschine wird dabei immer wechselweise Pulver aufgetragen und dann wieder zerspant. Man gewinnt damit eine Kombination der Vorteile beider Verfahrensvarianten: Die filigrane Geometrieerzeugung der additiven Fertigung und die hohe Genauigkeit der spanenden Fertigung. Das ist ein gutes Beispiel für die momentane Ausdifferenzierung der Verfahren.

Prof. Reinhart: An der additiven Fertigung gibt es noch unglaublich viel zu forschen. Der Begriff additive Fertigung steht als übergeordneter Begriff für die verschiedensten Verfahren und die verschiedensten Werkstoffe, mit denen wir wirklich ganz neue Prozesse realisieren können. Wir haben in vielen Fällen eine Art Mikrogießerei, wie zum Beispiel bei pulverbettbasierten Verfahren. Indem wir kleinste Partikel zum Schmelzen und anschließend zum Erstarren bringen, haben wir eine völlig neue Situation geschaffen, die wir erst seit wenigen Jahren – 25 vielleicht – wissenschaftlich durchdringen. Da gibt es noch viele offene Fragestellungen, um die Prozesse zu verstehen. Ähnlich viele Fragestellungen ergeben sich bei der Suche nach neuen Einsatzmöglichkeiten. Man kann ja plötzlich Produkte fertigen, die bisher nicht herstellbar waren. Ich habe damals in meinem Maschinenelemente-Entwurf ein Zahnrad gezeichnet, zu dem der Vorvorgänger von Professor Stahl angemerkt hat, dass es nicht fertigbar sei. Heute weiß ich, wie das geht.

Reisswolf: Da haben Sie sozusagen schon visionäres Denken bewiesen.

Prof. Reinhart: Vielleicht. (lacht)

Reisswolf: Nachhaltigkeit und Energiewende sind Themen, die mit besonderem Interesse beobachtet werden. Was sind die Einzelbereiche bei Ihnen und was wird konkret getan, um diese Vorgänge voranzutreiben?

Prof. Zäh: Unser Betrachtungsraum ist die Produktion in der Industrie. Die Industrie ist verantwortlich für etwa 40 % des CO2-Ausstoßes oder Primärenergieverbrauches. In Deutschland ist da ein sehr großer Hebel und entsprechend unseren Kompetenzen setzen wir den Hebel bei den Werkzeugmaschinen an. Wir versuchen Werkezugmaschinen energieeffizienter und energieflexibler zu machen. Dass Energieeffizienz nützlich ist, liegt auf der Hand. Energieflexibel müssen wir sein, da im Zuge der Energiewende, unter verstärkter Nutzung von regenerativen Energien, wie Wind und Sonne, das Angebot an Energie volatiler wird. Darauf müssen wir uns von Seiten der Produktion einstellen.

Reisswolf: Was genau heißt energieflexibel?

Prof. Zäh: Im Grunde, dass die Leistung dann aus dem Netz gezogen wird, wenn sie zur Verfügung steht und dass man dann die Leistung in der Produktion runterfahren kann, wenn das Angebot knapper wird. Es gibt verschiedene Ansätze: Zum einen können wir bei den energieintensivsten Prozessen selber ansetzten. Diese müssen zeitlich so verschoben werden, dass sie dann betrieben werden, wenn das Angebot da ist. Dasselbe gilt für indirekte Verbraucher an Werkzeugmaschinen. Zum anderen kann man entsprechende Zwischenspeicher besser anpassen. Bei vielen Hydraulikaggregaten war das so in der Vergangenheit, dass diese komplett bis zu einem unteren Anschlag leergefahren wurden und dann auf einen Schlag voll auf-gefüllt. Da kann man natürlich intelligenter und flexibler vorgehen.

Prof. Reinhart: Die intelligente Vernetzung der verschiedenen Komponenten in einer Fabrik ist immer ein wichtiger Punkt. In einer Fabrik gibt es ja nicht nur Werkzeugmaschinen. Es gibt Roboter, Schmiedemaschinen, Gießmaschinen oder auch Klimaanlagen. All dies ist momentan noch völlig unabhängig. Ungeschickterweise startet eine Drehmaschine irgendwo ihre Hauptspindel, gleichzeitig läuft das Hydraulikaggregat an und die Klimaanlage startet. Dann haben wir einen Peak, den wir eigentlich gar nicht haben müssten. Wenn die drei sich untereinander abstimmen und nacheinander anfahren, haben wir schon etwas gewonnen. Dann wird der Peak des Verbrauchs nicht mehr so hoch sein. Das sind die Ansätze, an denen wir momentan arbeiten. Es gibt auch ein großes nationales Forschungsprojekt mit etwa hundert Teilnehmern aus Industrie und Forschung, das sich „Synergie“ nennt. Dabei geht es um die synergetische Nutzung der Energie. Wir stellen uns zunächst die Frage, welche Prozesse man überhaupt flexibilisieren kann. Mit Dr. Norbert Reithofer aus dem BMW Vorstand habe ich oft über dieses Thema diskutiert. Wenn bei ihm der Kunde ein Auto bestellt, kann er ihm nicht sagen: “Warte, bis die Sonne wieder scheint und dann produziere ich dir dein Auto.“ Aber man kann in einer Gießerei die Motoren dann produzieren, wenn Energieüberschuss da ist, und etwas drosseln, wenn Energieknappheit herrscht. Man muss genau untersuchen, wo solche Möglichkeiten sind und wo nicht. Im Grunde ist die Idee, dass das Produkt ein Energiespeicher ist. Es gibt sie ja tatsächlich, die Tages- und Jahreszeiten, an denen wir zu viel Energie und nicht zu wenig haben, auch in Deutschland. Solche Situationen müssen wir nutzen.

Reisswolf: Wie weit ist für ein Projekt es von der Forschung in die Industrie? Sowohl in zeitlicher als auch technologischer Sicht?

Prof. Zäh: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben Projekte, die sich ganz stark auf der Grundlagenseite bewegen. Dies sind zum Beispiel neue Modellierungsansätze für Werkzeugmaschinen, um deren Dämpfungs-verhalten zu erforschen. Auf der anderen Seite haben wir auch viele anwendungsnahe Projekte. Wir bringen die Dinge teilweise so weit, dass sie anschließend in Produkte überführt werden können, direkt vom Labor in die Industrie.

Prof. Reinhart: Wir haben tatsächlich eine ganze Spannbreite an Projekten, von denen viele von der deutschen Forschungs-gemeinschaft gefördert werden. Einige von diesen sind eher grundlegende, bei denen es um neuen Erkenntnisgewinn geht. Diese brauchen oft Zeit, bis sie in der Praxis ankommen. Aber auch daran ist die DFG interessiert, mit Transferprojekten eben diesen Transfer in die Industrie zu schaffen. Aber wir haben auch Projekte auf der anderen Seite der Fahnenstange, die aus der Industrie kommen. Bei diesen kommen Industrieunternehmen aufgrund unserer Erfahrung in einem bestimmten Themengebiet, beispielsweise zum Rührreibschweißen, auf uns zu und stellen die Frage, ob ein Produkt durch solche Verfahren besser fertigbar ist. Wir versuchen immer die Schiene von grundlegendem Erkenntnisgewinn bis hin zur Anwendung zu befahren.

Reisswolf: Was ist Ihr Lieblings-Fertigungsverfahren?

Prof. Reinhart: Oh, das ist spontan schwer zu beantworten. Aber das von Prof. Zäh kenne ich.

Prof. Zäh: Ich nehme an, Du denkst an das Kreissägen. Das war nämlich das Verfahren, über das ich meine Dissertation verfasst habe. Wir beforschen es jetzt leider nicht mehr und haben auch die Kreissägemaschine, die ich zu meiner Doktorandenzeit als Experimentierplattform hatte, verkauft. Es ging um Metallkreissägen, wie sie üblicherweise in Stahlwerken zum Einsatz kommen. Der Sägeblattdurchmesser betrug damals 630 mm, also schon ein ordentliches Kaliber. Ein großes Problem waren Ratterschwingungen, die durch Torsionsnachgiebigkeit des Getriebes zustandekommen. Ich habe dafür ein Modell formuliert, das auf regelungstechnischen Ansätzen basiert, um diese Schwingungen zu beschreiben und somit verhindern zu können.

Prof. Reinhart: Ich tue mich da noch immer ein bisschen schwerer, mich jetzt auf ein Verfahren zu fokussieren. Auch weil ich aufgrund meines wissenschaftlichen Werdegangs eigentlich kein „Fertigungsmensch“, sondern eher ein „Montagemensch“ bin. Ich habe mich von der ersten Stunde am iwb – und das liegt lange, lange zurück – mit Montagefragestellungen beschäftigt sowie mit robotergestützter Montage und Automatisierung. Wenn Sie mich festnageln wollen, dann würde ich sagen, die Verfahren der additiven Fertigung, vor allem die laserbasierten Schmelzverfahren, faszinieren mich am meisten.

Prof. Zäh: Ich würde von meiner Seite noch hinzufügen, dass ich durch meine sechs Jahre bei einem Werkzeugmaschinenhersteller, der Maschinen für die Zahnradherstellung produziert, auch ein besonderes Faible für Verzahnverfahren habe, generell alles was mit Zahnrädern zu tun hat.

Reisswolf: Wie kann man sich die Modellbildung von Werkzeugmaschinen vorstellen?

Prof. Reinhart: Die Basis ist meistens CAD. Oft gehen wir von einer Mehrkörpersimulation aus, die mit einer Finite-Elemente-Simulation zusammengeschaltet ist. Wenn wir noch weiter in die Fabrik gehen, verwenden wir einen höheren Abstraktionsgrad. Wir betrachten das ganze aus der Vogelperspektive und sehen die einzelnen Maschinen als Senken, die Materialien aufnehmen, und Quellen, die Produkte abgeben. Diese werden dann hintereinandergeschaltet, um die Logistik dahinter zu simulieren. Die Kunst ist nun, das Ganze miteinander zu verbinden. Wenn man eine Quelle oder Senke in der Blackbox-Beschreibung der logistischen Simulation hat, muss man trotzdem wissen, wie schnell diese eigentlich arbeitet und aus dem Rohmaterial das fertige Produkt erzeugt. Dort kann man wieder mit der Mehrkörpersimulation ansetzen, um die Maschine an sich zu beschreiben. Dabei können dann auch die möglichen Geschwindigkeiten getestet werden, um zu überprüfen, ab wann Probleme auftreten. So kommen immer größere Modelle zustande.

Reisswolf: Das iwb bietet sehr viele Vorlesungen an, von denen einige auch sehr spezielle produktionstechnische Fragstellungen behandeln. Worin sollte der Anreiz für Studierende liegen, diese Vorlesungen zu besuchen?

Prof. Zäh: Gehen wir einmal von der volkswirtschaftlichen Situation aus: Wir haben in Deutschland immerhin 25% der Wert-schöpfung, somit 25% des BIP, die in der Produktion liegen. Das ist ein Wert, der deutlich höher ist als in benachbarten Ländern vergleichbarer Größe. In Italien beispielsweise liegt die Produktion etwa zwischen 15% und 20%. Wenn man in diesem Bereich gut qualifiziert ist und entsprechend vertieftes Wissen besitzt, findet man hervorragende Beschäftigungsmöglichkeiten in der Industrie. Denn dort findet die Wertschöpfung statt. Dabei ist eben nicht nur Konstruktion und Produktentwicklung sowie produktbezogene Simulation gefragt, sondern auch die Gestaltung des Produktionsbereiches. Dabei geht es bei der spanenden Bearbeitung los, weiter über die Fügetechnik bis hin zur Montage und in neuster Zeit auch bis zur additiven Fertigung. Insofern hat es seine Berechtigung, wenn sich einzelne von Ihnen darin vertiefen und auch die volle Bandbreite bei uns belegen.

Prof. Reinhart: Wir haben vor allem den Ehrgeiz, Ihnen die Möglichkeit zu geben, alle Facetten eines Fabrikbetriebs kennen zu lernen. Für einzelne Eindrücke müssen Sie sicher nicht alles belegen. Wenn Sie aber von vorneherein sagen, dass die Produktion für Sie interessant ist und Sie wollen Produktionsleiter werden, dann kann ich Ihnen tat-sächlich raten: Machen Sie alle Vorlesungen bei uns. Dann sind Sie fit dafür! Da-nach können Sie von der Arbeitsschutzsicherheit bis zum Qualitätsmanagement die ganze Litanei. In jedem Fall würde ich den Studierenden einen Einblick in die Produktion durch eine stellvertretende Vorlesung empfehlen. Dazu eignet sich zum Beispiel die Vorlesung spanende Werkzeugmaschinen von Prof. Zäh oder bei Prof. Volk die Vorlesung umformende Werkzeugmaschinen. Auch wenn das sehr unterschiedliche Verfahren sind, so ist doch das Vorgehen sehr ähnlich. In der Tat ist es ein sehr großes Pensum, das wir hier abspulen. An anderen Universitäten gibt es sehr viel mehr Professoren, die sich mit der Fertigungstechnik beschäftigen. In Aachen beispielsweise sind es mittlerweile acht. Da sind wir etwas weniger im Vergleich und daher muss ein Professor einfach mehr machen.

Reisswolf: Sehen Sie die TUM benachteiligt in diesem Bereich?

Prof. Zäh: Wir plädieren immer für einen Ausbau der Fertigungstechnik und der entsprechend orientierten Lehrstühle. Glücklicherweise gibt es jetzt eine gute Entwicklung in der Richtung. Demnächst wird Herr Mayr mit der Lehrstuhlwidmung „Werkstofftechnik für die additive Fertigung“ kommen, es ist momentan eine Professur „Laser für die additive Fertigung“ in Besetzung und es wird im Zuge des Nachfolgeverfahrens für Prof. Reinhard auch eine Professur für Batteriefertigung geben.

Reisswolf: Es geht also durchaus in die richtige Richtung?

Prof. Zäh: Ja, und dafür haben wir auch lange argumentiert und gekämpft.

Reisswolf: Welche Praktika, HiWi Stellen und Semesterarbeiten bieten Sie an?

Prof. Zäh: Da haben wir eine riesengroße Palette. Das Thema Studienarbeiten und HiWi Jobs ist komplett in den Händen unserer wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese haben von uns aus die Freiheit, solche Dinge eigenständig auszuschreiben, so wie es in ihr wissenschaftliches Projekt passt. Somit ist für alle Studierenden etwas dabei, auch für Studierende aus der TUM-BWL, die uns beispielsweise mit Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen unterstützen können. Wir haben auch weitere Programme wie das Trainee-Programm, für das ich gerne zu Vorlesungsbeginn werbe. Bei diesem kann man auch über den Master in das Institut hineinwachsen, mit dem Ziel, in einer angestellten Position mit Promotionsmöglichkeit tätig zu werden.

Reisswolf: Es gibt nun seit mittlerweile zwei Jahren die Vorlesung GEP nicht mehr. Wie haben Sie damals den Wechsel gesehen?

Prof. Zäh: Wir haben heftig darum gerungen, das Fach im Grundstudium zu erhalten. In der damaligen und noch anhaltenden Strömung in der Fakultät ist das aber leider nicht gelungen. Im Prinzip kann jetzt ein Studierender einen Bachelor erwerben, ohne je etwas von Fertigungs- und Produktionstechnik gehört zu haben. Aus unserer Sicht eine krasse Fehlentwicklung, die wir hoffentlich teilweise korrigieren können.

Reisswolf: Wie hoffen Sie, das zu korrigieren?

Prof. Zäh: Es gibt von Jahr zu Jahr die Diskussion, wie man den Studienplan modifiziert. Da gibt es dann verschiedene Optionen, ob man Produktionstechnik im fünften Semester verpflichtend anbietet oder die Credits im dritten Semester etwas verschiebt, um GEP mit 2 Credits wieder anbieten zu können. Aber bei all diesen Diskussionen ist noch nichts beschlussreif.

Reisswolf: Fehlt es Ihnen persönlich, das Fach anzubieten?

Prof. Zäh: Ja, da ich gerne die Möglichkeit genutzt habe, die Produktionstechnik erstmals in das Bewusstsein vieler Studierender zu rücken. Viele kommen aus dem Gymnasium und nehmen die Themen wie Automobil oder Luft- und Raumfahrttechnik war, da diese medienpräsent sind, aber Produktionstechnik eben nicht. Mit dieser Vorlesung hatten wir eine Plattform, um auf den Stellenwert, die Breite und Faszination der Produktionstechnik aufmerksam zu machen.

Prof. Reinhart: Wir hoffen sehr darauf, dass wir in Zukunft wieder mehr Möglichkeiten dazu haben. Denn kein Auto ohne Produktion, kein Flugzeug ohne Produktion, kein Kraftwerk ohne Produktion.

„Denn kein Auto ohne Produktion, kein Flugzeug ohne Produktion, kein Kraftwerk ohne Produktion“

Prof. Zäh: Und kein Lebensstandard ohne Produktion.

Reisswolf: Herr Prof. Reinhart, wir haben gerade darüber gesprochen, dass schon Ihre Nachfolge besetzt wird. Was haben Sie denn vor, wenn Sie in Rente gehen?

Prof. Reinhart: Oh, da habe ich ganz, ganz viele Dinge vor. Ich schneide das ganze Mal auf zwei zurück. Ich hatte zum einen schon immer ein Faible für Musik, nur immer zu wenig Zeit, um die Musikinstrumente, die ich zu Hause herumstehen habe, auch zu üben. Das möchte ich wieder etwas ausbauen. Zum anderen war ich in meinem Leben schon an vielen schönen Orten dieser Welt, aber meistens zu kurz. Mit dem Flugzeug hin, Vortrag gehalten, im Hotel übernachtet und zurück. Da ist es mir schon manchmal passiert, dass ich morgens aufgewacht bin und überlegen musste, wo ich eigentlich gerade bin. Irgendwie sehen doch alle Hotels auf dieser Erde irgendwann gleich aus. Es gibt viele schöne Orte auf der Erde, ich habe da sogar eine Liste erstellt und diese würde ich gerne zusammen mit meiner Frau noch einmal aufsuchen.

Reisswolf: Das klingt nach einem sehr guten Plan. Wir bedanken uns für das Interview und dafür, dass Sie sich beide Zeit für uns genommen haben.

Aus 03/2019 von Elene Mamaladze, Josua Höfgen und Marcus Dürr

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