Energie – aber wie?

Von Energiewende, Strompreisen und bösen Energieträgern

Professor Hartmut Spliethoff begrüßt uns in einem Besprechungsraum in seinem Lehrstuhl. Eine willkommene Abwechslung zur sonstigen Arbeit sei das Interview, so der Professor, zumal es Freitag nachmittag und gefühlt 30°C heiß ist. Professor Spliethoff ist schon seit 2004 Leiter des Lehrstuhls für Energiesysteme, den wir in dieser Ausgabe vorstellen. Wir steigen schnell in das Gespräch ein, das sich um den Werdegang des Professors, die heutigen Herausforderungen im Energiesektor und die aktuelle Forschung des Lehrstuhls dreht.

Reisswolf: Warum haben Sie sich für den Lehrstuhl Energiesysteme oder allgemein für das Fach Energiesysteme entschieden? Lagen Ihre Interessen schon immer bei den regenerativen Energiesystemen?

Prof. Hartmut Spliethoff: Das hat sich durch mein Elternhaus so ergeben. Mein Vater war auch als Ingenieur im Kraftwerksbereich tätig. Da waren vielfältige Kompetenzen aus verschiedenen Richtungen wie Verbrennung, Wärmeübertragung, Dampferzeugung, Umweltschutz, Strömungsturbinen, Regelung etc. gefragt. Man kann eine Anlage planen, im Betrieb untersuchen und optimieren. Das hat mich interessiert und deshalb habe ich auch das Studium Maschinenbau mit der Ausrichtung auf Energie- und Kraftwerkstechnik eingeschlagen. Nach meiner Promotion war ich weiter in der Forschung als Oberingenieur an der Universität Stuttgart tätig. Dort konnte ich so richtig schön gestalten und am Projekte initiieren. Das sehe ich als einen wesentlichen Unterschied zur Industrie. Wir waren dort sehr erfolgreich in der Akquise von europäischen Projekten, bei denen man mit anderen Forschungseinrichtungen und Firmen zusammenarbeiten, von anderen lernen und gemeinsam ein Ziel verfolgen konnte. Diese EU-Projekte haben einfach Spaß gemacht. Ich habe mich immer für das entschieden, was mir Spaß machte und das hat eigentlich meinen Lebensweg geprägt. Ich habe mir früher immer die Karriereberatung in den VDI-Nachrichten angeschaut. Karriereberatung – oje oje… was man nicht alles tun sollte, um Karriere zu machen. Das habe ich meist nicht erfüllt. Ich habe das gemacht, was mir Spaß macht und das hat sich so weiterentwickelt. Dann kam die Überlegung, wie ich diese Tätigkeit weiterführen kann. Da habe ich mich nach Professuren umgeschaut und mich unter anderem in den Niederlanden beworben und wurde dort berufen. Das hat auch Spaß gemacht, in einem fremden Land mit einer anderen Mentalität zu forschen, aber es war auch eine Herausforderung für mich und die ganze Familie.

Sie waren in den Niederlanden?

Ja, an der TU Delft. Delft ist ja eine kleine Stadt aber hat eine große Universität. Die niederländische Mentalität unterscheidet sich sehr von der Deutschen. Wenn man als Deutscher denkt, man ginge zielstrebig vor, dann ist das in den Niederlanden ein Weg voller Hindernisse. Umgekehrt wird das wohl auch so sein. Da war ich fünf Jahre tätig und habe selbstverständlich auch die Sprache gelernt. Ich kann immer noch ein bisschen Niederländisch und unsere Kinder sprechen es perfekt ohne deutschen Akzent. Es war aber schon klar, dass ich zurückgehen wollte und dann hat sich hier an der TUM eine für mich passende Gelegenheit geboten. Die Kompetenzen Energiesysteme, Wärme, Thermodynamik und Kraftwerksprozesse waren gefragt. Erneuerbare Energien wie Biomasse, Abfall, Geothermie oder Solarthermie waren schon immer Bestandteil meiner Forschung, aber auch die fossilen Energieträger und die konventionelle Kraftwerkstechnik einschließlich der Techniken zur CO2-Abscheidung.

Was hat sich in dem Bereich seitdem verändert?

Vor 20 Jahren war man von der Vorstellung einer vollständig erneuerbaren Energieversorgung noch weiter entfernt. Aber die Technologien der Erneuerbaren wie solarthermische Kraftwerke waren damals auch schon Thema. Solarthermischer Strom hat sich damals auch deswegen nicht durchgesetzt, weil er im Vergleich zur fossilen Stromerzeugung zu teuer war. Aber das gilt auch heute noch für fast alle Erneuerbaren. Wir werden für eine erneuerbare Energieversorgung einen höheren Preis zahlen müssen als
für die fossile Versorgung in der Vergangenheit. Ich glaube, dass die Bereitschaft hierfür heute eher vorhanden ist, weil es keine Alternative zur Abkehr von fossilen Energieträgern gibt. Ich halte es aber mittelfristig für sinnvoll, noch einen geringen Anteil fossiler Energie zu nutzen, da die Gesamtkosten des Systems überproportional steigen, wenn wir die 100% erreichen wollen. Das ist insbesondere dann sinnvoll, wenn der Anteil an erneuerbaren Energien in den Nachbarländern noch deutlich niedriger als in Deutschland ist. Ich sage auch oft gegenüber Studierenden, dass es wichtig ist, dass wir Kompetenzen als Handwerkszeug vermitteln. Es ist nicht unsere Aufgabe, Energieträger oder Technologien vorzuschreiben, sondern wir wollen Tools bereitstellen, um Dinge weiterzuentwickeln und das ist die Aufgabe eines Ingenieurs. Letztendlich bestimmt die Gesellschaft, welche Technologien akzeptiert und genutzt werden. Das lustige ist, mein Lehrstuhl heißt Lehrstuhl für Energiesysteme, neuere Lehrstühle in Deutschland heißen erneuerbare oder nachhaltige Energiesysteme. Das bedeutet aber nicht, dass ich jetzt nur die „bösen” Energieträger abdecke, sondern wir decken alle ab, aber der Schwerpunkt liegt heute eher bei den Erneuerbaren. Tools, die wir für konventionelle Technologien entwickelt hatten, lassen sich auch für die Entwicklung von Erneuerbaren, Speichern oder Abwärmenutzung einsetzen.
Oft erkenne ich die Neigung, sich auf eine Lösung festzulegen, aber ich bin der Meinung, dass man abwägen muss und offen sein sollte für verschiedene Technologien. Ziel ist die Versorgung eines gesamten Systems und die Herausforderung der Zukunft besteht darin, wie wir eine nachhaltige Energieversorgung am besten erreichen. Aktuell und eher kurzfristig stellt sich die Frage, ob wir weiter Erdgas aus Russland beziehen, ob wir dies kurzfristig ersetzen können oder ob wir auf Energiedienstleistungen verzichten können oder müssen. Die Antwort ist nicht einfach. Über Verzicht zu entscheiden ist aber nicht die Aufgabe des Ingenieurswesens. Die Aufgabe ist es, Lösungen und Technologien zur Erreichung des Zieles zu entwickeln.

Was war denn das spannendste Projekt, an dem Sie bisher gearbeitet haben und an welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?

Oh spannend… wir hatten mal einen Antrag gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Raumfahrtechnik zur Untersuchung von Mondgestein in einer Wirbelschicht unter Gravitationsbedingungen auf dem Mond gestellt, aber der ist leider nicht durchgekommen. Am schönsten fand ich immer die EU-Projekte aufgrund der Kooperation mit internationalen Partnern. Was gerade spannend ist, sind die Wasserstoff-Themen. Hier versuchen wir die Aktivitäten an der TUM in dem Netzwerk „TUM Hydrogen and „Power-to-X“ zu bündeln. Eine gewisse Herausstellung hat derzeit die Entwicklung und Untersuchung einer reversiblen Brennstoffzelle. Wir sind schon lange auf dem Gebiet der Hochtemperaturbrennstoffzellen tätig und ein sehr erfinderischer Oberingenieur am Lehrstuhl, hat hierfür ein Konzept entwickelt. Dabei soll mit einem hohen Wirkungsgrad aus Biogas Strom erzeugt werden. Die Zelle kann aber auch umgekehrt betrieben werden, um aus Strom Biogas zu machen und das ebenfalls mit hohem Wirkungsgrad. Das Konzept verschaltet die Prozessschritte elektrochemische Zelle, Methanisierung und CO2-Abscheidung. Das alles führt auf dem Papier zu einem Wirkungsgrad in eine Richtung von jeweils rund 80 %, was deutlich über dem Stand der Technik liegt. Üblich sind heute maximal etwa 60%. Der Vorteil der reversiblen Brennstoffzelle als Speichertechnologie liegt darin, dass man einen chemischen Energieträger mit hoher Energiedichte speichert. In einem Innovationsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung konnte die Machbarkeit des Konzepts belegt werden, mittlerweile hat eine Ausgründung stattgefunden. Ich bin gespannt wie das läuft.

Es geht um das Projekt BioCORE, rich-tig? (siehe Lehrstuhlvorstellung ab S. 10)

Das Projekt hieß BioCORE, die Ausgründung trägt den Namen Reverion. Insgesamt sind wir relativ breit aufgestellt. Neben Wasserstoff-Themen arbeiten wir auch an flexiblen Kraftwerkstechnologien, der Wärmenutzung, Wärmespeichern, der Energiesystemoptimierung und im Bereich Biomasse und Abfall sind wir schon lange tätig. Aber ich würde BioCORE herausstellen, weil das mit der Ausgründung auf dem direkten Weg in die Anwendung ist. Ein technisches Risiko ist natürlich dabei, aber wenn das klappt, wäre das schon ein großer Erfolg.

Meinen Sie mit technischem Risiko, dass es sich nicht im großen Maßstab umsetzen lässt oder gibt es andere Gründe?

Es ist ein Startup. Da gibt es viele Risiken und das muss nicht immer nur die Technik sein. Es kann auch die Marktakzeptanz sein, es kann sein, dass eine andere Technologie mehr gefördert wird und dann gibt es auch technische Risiken. Reverion ist ja kein Her- steller der Zelltechnologien und bei Kooperationen mit anderen Firmen kann es auch Risiken geben. Sie wissen ja bei Startups kommt eines von 20 oder 30 durch und ich hoffe, dass Reverion dabei ist.

BioCORE scheint eine vielversprechende Technologie zu sein.

Ja und das schöne dabei ist, dass Erfindungsgeist und Ingenieurskunst eine große Rolle bei diesem Projekt spielen. Da sieht man wirklich, wie Ideenreichtum und Ingenieurswerkzeug dazu beiträgt, so etwas zu entwickeln. So schöne Beispiele findet man in dieser Form selten.

Denken wir einmal ein bisschen größer und stellen uns vor, es gäbe keine politischen oder finanziellen Grenzen. Wie könnte Deutschland dann den Sprung von „bösen” Energieträgern zu den „guten” schaffen?

Keine politischen oder finanziellen Grenzen, also das kann ich mir kaum vorstellen. Ich sehe eigentlich gerade, dass die Zukunft ge- wisser Grenzen bedarf. Damit meine ich, dass der Preis ansteigen und stabil sein sollte, damit man überhaupt gewisse Ziele erreichen kann. Gerade ist eine Zeit, die für die Energieforschung sehr günstig ist, der Anstieg von Strompreisen und von Gaspreisen ist per se für die Energieforschung nicht schlecht. Das schafft Optionen, da viele Technologien jetzt wettbewerbsfähiger werden und ermöglicht die Umsetzung einer Energieversorgung, die teurer sein wird als in der Vergangenheit. Die Erneuerbaren werden dann aber den Preis stabilisieren. Ein System ohne Grenzen wäre aber eigentlich sehr einfach. Es gibt ja schon lange diese Desertec-Idee – und zwar nicht erst seit 10 oder 15 Jahren, sondern schon seit 50 Jahren. Dabei erzeugt man solaren Wüstenstrom und transportiert ihn entweder direkt oder in Form eines chemischen Energieträgers weiter. Dann wäre das System sehr einfach. Oft wird in Grafiken gezeigt, dass es nur eine kleine Fläche für die so- lare Energiegewinnung benötigt, um die gesamte Welt mit Strom zu versorgen. Technisch ist das gar kein Problem. Das ist zwar etwas teurer, aber die Grenzen lassen wir ja weg. Aber ich glaube, so einfach wird die Lösung nicht aussehen. Das zukünftige System wird aus unterschiedlichen Technologien zusammengesetzt sein. Auch sollten wir uns nicht nur auf die Energieerzeugung in Nordafrika oder dem Nahen Osten verlassen, um nicht in neue Abhängigkeiten zu geraten. Ich finde der Ausbau der Windenergie und Photovoltaik in Deutschland muss vorangetrieben werden.

Wir müssen massiv Windenergie und Photovoltaik in Bayern ausbauen.

Gibt es Forschung dazu, wie man dieses Ziel erreichen kann?

Wir haben vor etwa einem Jahr die Studie „100 % erneuerbare Energieversorgung für Bayern” durchgeführt. Bei solchen Studien sind natürlich die Ziele immer gegeben. Das heißt, nicht das Ergebnis, sondern das Ziel heißt 100 % Erneuerbare. Unsere Aufgabe war es, zu berechnen, was wir dafür benötigen. Wir haben die Studie im Auftrag des Bund Naturschutz durchgeführt, was für uns eine neue Erfahrung war. Man hat schon ein bisschen Angst, dass man dabei vereinnahmt wird, aber die Aussagen, die wir gefunden haben, sind vollkommen richtig. Wir müssen massiv Windenergie und Photovoltaik in Bayern ausbauen. Ob es letztendlich eine autarke Erzeugung wird, das glaube ich nicht. Autarkie ist teuer. Größere Systeme kann man besser optimieren. Wir haben wenig Resonanz von der Politik bekommen, obwohl wir Kontakte zu Ministerien haben. Trotzdem haben wir keine Kritik an der Studie gehört, was positiv ist und mittlerweile muss man ja sagen, dass selbst die Politik in Bayern ein bisschen umgeschwenkt hat und nicht mehr kategorisch gegen Windkraftanlagen ist. Bayern war ja schon immer ein besonderer Fall mit der Stromversorgung. Anstatt den Strom selbst zu erzeugen oder zu transportieren, sollte die Stromleitung wohl am besten eine Ringleitung um Bayern herum sein, die Bayern durch Stichleitungen mit erneuerbarem Strom versorgt (lacht).

Aber die politische Veränderung ist ja jetzt auch in sehr kurzer Zeit entstanden.

Man muss sehen, dass den Worten auch Taten folgen. Da bin ich noch ein bisschen skeptisch. Aber die Umsetzung braucht eben ihre Zeit. Ich hatte in letzter Zeit auch einige Anfragen, was man denn tun könne, um Gas zu ersetzen. Aber kurzfristig kann man kaum etwas umsetzen. Oft werden wir gefragt, ob Geothermie einen Beitrag dazu leisten kann. Aber auch Geothermie kann kurzfristig keinen höheren Beitrag leisten. Alles muss geplant sein und benötigt Vorlauf. Es gibt wenige Sachen, die man innerhalb von ein paar Monaten realisieren kann. Was wir realisieren können, sind meist Maßnahmen, die nicht in die richtige Richtung gehen, verstärkter Einsatz von Kohleenergie und Kernenergie, aber da trauen sich die Politiker nicht. Ich bin eigentlich für die Nutzung von Kernenergie. Ich bin kein Verfechter einer langfristigen Nutzung, weil sie zu teuer und in Deutschland kaum konsensfähig ist. Aber fast alle unsere Nachbarn nutzen noch die Kernenergie. Warum steigen wir aus? Warum schalten wir erst die Kraftwerke ab und suchen erst dann nach Alternativen? Das ist unverständlich und die energiepolitischen Entscheidungen der letzten Jahre haben nichts mit einem gesunden Menschenverstand zu tun. Der Ausstieg aus der Kernenergie ist nicht nachzuvollziehen.

Alles muss geplant sein und benötigt Vorlauf. Es gibt wenige Sachen, die man innerhalb von ein paar Monaten realisieren kann.

Aktuell gibt es Diskussionen um die Option, Kernkraftwerke wieder hochzufahren, wenn Gas knapp wird. Viele sind aber der Meinung, dass das gar keinen Sinn ergibt.

Sicherlich ergibt das Sinn. Wieso sollte das keinen Sinn ergeben? Es sind ja noch drei Anlagen mit 4000 MW in Betrieb und diese werden Ende 2022 abgeschaltet. Ende 2021 wurden auch schon 4000 MW abgeschaltet. Wodurch wird diese Kernenergie denn er- setzt? Vor eineinhalb oder einem Jahr war der Plan, das Energiedefizit mit Gas zu ersetzen. Aber eine Gasverstromung erhöht den Gasverbrauch. Man müsste jetzt eigentlich den Druck aus dem System herausnehmen und die Kernkraftwerke weiterlaufen lassen. Das ist nicht trivial, es benötigt Vorlauf, Genehmigungen müssen vorliegen und geschultes Personal muss verfügbar sein. Die Belegschaft ist aber nur für ein Kernkraftwerk geschult und kann nicht einfach ein anderes betreiben. Weiterhin werden frische Brennstoffelemente benötigt, da ein Weiterbetrieb ja nicht geplant war. Das würde man mit Vorlauf aber alles noch hinbekommen. Wissen Sie aber woher die Brennstoffelemente bisher überwiegend bezogen wurden?

Aus Russland?

Aus Russland, ja. Also gut, die kann man noch wo anders fertigen lassen, aber das braucht auch wieder ein halbes Jahr bis ein Jahr Vorlauf. Das heißt all das sind Entscheidungen, die nicht von heute auf morgen umzusetzen sind. Auch die Wiederinbetriebnahme von stillgelegten Kohlekraftwerken benötigt Zeit. Eines der modernsten Kraftwerke, das Kraftwerk Moorburg in Hamburg mit zweimal 800 MW elektrisch und einem Wirkungsgrad von 44-45 % wurde außer Betrieb genommen. Der Kraftwerksbetreiber hatte aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage am Strommarkt und der Akzeptanz von Kohle die Stilllegung auf einer Auktion ersteigert. Auch dieses Kraftwerk kann man nicht von heute auf morgen wieder in Betrieb nehmen. Da wurde Technik abgebaut. Das heißt, auch hier braucht die Instandsetzung Vorlauf und man sollte doch die Kraftwerke einsetzen, die am neuesten sind und nicht die, die am ältesten sind und den schlechtesten Wirkungsgrad aufweisen. Auch aus CO2-Gründen. Aber die Grünen – und das verstehe ich eben nicht – wollen das Thema Atomenergie nicht mehr aufgreifen und die Betreiberfirmen scheinen einen Konsens gefunden zu haben, das Thema nicht mehr anzufassen.

Der Plan war ursprünglich, die Kernkraft durch Gas zu ersetzen. Ist es nicht realistisch, sie stattdessen nun durch erneuerbare Energien zu ersetzen?

Ja, aber das machen wir doch ohnehin. Wir haben im Strom einen Anteil von über 40 % erneuerbare Energien. Das muss weiter ausgebaut werden. Wir hinken sowieso hinterher mit dem Ausbauplan. Und wir müssen auch bedenken, dass wir auch die anderen Sektoren, Mobilität und Wärme, versorgen müssen.

Das heißt man sollte den Druck aus dem Sektor herausnehmen, indem man zum Beispiel die Atomkraftwerke weiterlaufen lässt?

Das Problem mit dem russischen Erdgas ist ja eine kurzfristige Sache. Das wird man nicht durch den Zubau von Erneuerbaren lösen können. Also muss man alles tun, damit die Genehmigung einfacher wird und ich finde, die Grünen machen da eine gute Politik. Aber Windräder sind auch nicht innerhalb von ein paar Monaten installiert. Aber das ist oft die Erwartung. Eine große Lenkungswirkung besitzt der Energiepreis. Es muss die Bereitschaft da sein, dass Energie teurer wird. Vor mehr als zwanzig Jahren hatten die Grünen einen enorm hohen Benzinpreis von 5 DM gefordert und deshalb die Wahlen verloren. Das war eine richtige Aussage, nur darf man es den Leuten nicht sagen, denn sie wollen das nicht. Aber das ist schon der richtige Schritt.

Der Energieverbrauch insgesamt muss sinken und wird sinken.

Sollte man die Leute und Unternehmen auch mehr dazu bewegen, ihren Energieverbrauch zu reduzieren? Es gibt Studien, die voraussagen, dass der Energieverbrauch in den nächsten Jahren eventuell sinken wird. Was halten Sie von der Annahme?

Ich glaube schon, ja. Der Energieverbrauch insgesamt muss sinken und wird sinken. Corona hat uns das Homeoffice beschert, dadurch können wir Wege und Energie einsparen. Im Gebäudebereich kann man technisch einfach durch gute Wärmedämmung den Verbrauch reduzieren. Das einzige was ich nicht glaube, ist, dass im Stromsektor der Energiebedarf sinkt, denn es kommen neue Verbraucher hinzu wie Elektrofahrzeuge. E-Mobilität ist effizient, und zwar deutlich effizienter als der Einsatz von Wasserstoff in der Mobilität. Es kommen noch Wärmepumpen für Gebäude hinzu, sowie der wachsende Informationssektor, Computer, Rechenzentren. Auch das Leibniz-Rechenzentrum am Campus Garching wird immer weiter ausgebaut werden. Insgesamt kann der Stromverbrauch also gar nicht zurückgehen.

Am Anfang ihrer Vorlesung „Regenerative Energiesysteme I” war eine Grafik aus dem IPCC-Bericht zu sehen, die zeigte, dass im Jahr 2050 80% des Strombedarfs aus Erneuerbaren stammen sollen. Im zeitlichen Verlauf dieser Grafik ist der Strombedarf auch stark gesunken und das war so eine Sache, die nicht wirklich plausibel erscheint.

Das ist richtig, ein Rückgang des Stromverbrauchs ist nicht plausibel. Das sind keine Vorhersagen. Das versuche ich auch in der Vorlesung zu vermitteln. Das sind keine Prognosen, dass es so sein wird, sondern Berechnungen, dass es 2050 so aussehen kann, wenn bestimmte Dinge umgesetzt werden. Das ist auch das Problem bei unserer Studie „100 % Erneuerbare für Bayern”. Man kann die einfache Schlussfolgerung daraus ziehen, dass 100 % Erneuerbare möglich sind. Die eigentliche Aussage der Studie ist aber: Man muss sich anstrengen, um 100 % Erneuerbare zu erreichen. Man muss unter anderem die Windkraftleistung verzehnfachen, um das Ziel 100 % Erneuerbare in Bayern zu erreichen. Dass der Stromverbrauch nicht zurückgehen wird, ist mittlerweile in der Politik angekommen, aber in den offiziellen Zielen der Bundesregierung steht immer noch, dass der Stromverbrauch abnehmen wird. Die Politikerinnen und Politiker selbst sind mittlerweile so realitätsnah, dass sie nicht mehr davon ausgehen, dass der Stromverbrauch abnehmen wird.

Gibt es irgendwelche Technologien, die vielversprechend sind, um nicht nur den Stromverbrauch, sondern auch den Energieverbrauch in anderen Bereichen zu senken? Wärmepumpen sind mit ihrer hohen Effizienz zum Beispiel eine Lösung. Was gibt es da noch und wird in der Richtung aktuell geforscht?

Da muss man die diversen Anwendungsbereiche differenzieren. Die grundlegenden, neuen Erfindungen, die alles revolutionieren, sehe ich nicht. Es gibt die Gesetze der Thermodynamik. Wärme selbst ist nur ein Verlust, wenn Sie heizen. Die Verluste im Gebäudebereich kann man durch Dämmung reduzieren und Wärmepumpen sind die Technologie für die Zukunft, aber prinzipiell nichts Neues. Ihr Anreiz besteht darin, dass sie mit Strom gespeist werden können, aber die Kosten müssen noch sinken. Bei der Stromerzeugung sind es die Erneuerbaren, die die Maßstäbe vorgeben. Also Photovoltaik und Wind, aber es kommen noch Wasser, Biomasse, Abfall und die Geothermie hinzu. Photovoltaik hat eine phänomenale Entwicklung durchlaufen und das schon seit vielen Jahren. Sie muss weiter ausgebaut werden. Mit Erdwärme könnten wir noch mehr erreichen. Wir haben vor Jahren die Geothermieallianz Bayern initiiert. Der Fokus liegt derzeit auf der hydrothermalen Geothermie, also auf der wassergebundenen Erdwärme. Wenn man nicht nur hydrothermale, sondern auch petrothermale Nutzung zulässt, d.h. die Wärme im Gestein erschließt, dann wäre das Potential auch viel größer. Es gibt noch viele Möglichkeiten.

Man muss sich anstrengen, um 100 % Erneuerbare zu erreichen.

Was würden Sie Kommunen empfehlen, was umgesetzt werden sollte? Oft gibt es dort kein Konzept, wie man auf kommunaler Ebene auf erneuerbare Energien umsteigen kann.

Erstmal gilt die Regel, mit Wind und Photovoltaik all das umzusetzen, was möglich ist. Das trägt zum Gesamtsystem bei. Ländliche Kommunen haben es einfacher. Dort sind mehr Flächen für Wind und Photovoltaik vorhanden und die können auch Biomasse nutzen. Ich aber bin ein Gegner der Optimierung von ganz kleinen Bilanzräumen. Man sollte das stattdessen in einem größeren Raum durchführen. Je größer das System ist, desto einfacher ist es auch, das Optimum zu erreichen. Die Optimierung steht manchmal im Gegensatz zur Realität. Eine Aussage der Studie „100 % Erneuerbare für Bayern” war, dass es sinnvoll wäre, Biomasse für hochwertige Energieanwendungen einzusetzen, das heißt Strom mit Kraft-Wärme-Kopplung oder auch Hochtemperaturindustriewärme. Das steht im Widerspruch zu der derzeitigen Nutzung. Die derzeitige Nutzung ist die Verbrennung in kleinen Anlagen, etwa beim Nachbarn zur Wärmeerzeugung. Das ist natürlich aus der Gesamtsicht ein Frevel. Aber wie kommt man zu diesem Gesamtsystem? Ich glaube, da liegt noch viel Arbeit vor uns. Man kann es ja dem Nachbarn, auch wenn ich es manchmal gerne machen würde (lacht), nicht verbieten, seinen Biomassekessel zur Vergasung statt zur Verbrennung zu nutzen. Wenn diese Anlagen nicht sachgemäß betrieben werden, ist das dann eher eine Vergasung als eine vollständige Verbrennung und das führt zu hohen Emissionen. Das riecht man dann leider auch. In München ist es verboten, Feststoffe zu verbrennen. Außerhalb darf man Biomasse verbrennen, obwohl es nicht immer umweltfreundlich ist. Auch Abwärme könnte man noch stärker nutzen. In der Optimierung des Gesamtsystems liegt noch die Hauptarbeit. Das wird die Herausforderung der nächsten Jahre sein. Wie kann man Flauten überbrücken? Ist es noch akzeptabel, für zwei Wochen auf einen fossilen Energieträger zurückzugreifen? Ist das nicht vielleicht doch kostengünstiger? Ich glaube da gibt es noch viele Herausforderungen. Das ist zurzeit recht spannend. Aber zuerst müssen wir überall unsere Hausaufgaben machen. Auch an der Universität hier müssen wir mehr Photovoltaik installieren.

Wir müssen überall unsere Hausaufgaben machen. Auch an der Universität hier müssen wir mehr Photovoltaik installieren.

Wir haben hier eigentlich viel Platz auf den Dächern.

Ja, das haben wir hier auch schon seit ein paar Jahren vorgeschlagen. Wir haben das Projekt „CleanTechCampus” initiiert, eine Kooperation mehrerer Lehrstühle, bei der wir die Möglichkeiten der zukünftigen Energieversorgung für den Campus untersucht und modelliert haben. Es ist gerade ein weiteres Projekt hierzu angelaufen. Wir haben insbesondere mit Professor Hamacher eine gute, enge Kooperation. Wir entwickeln ständig Vorschläge und haben diese auch schon eingespeist. Es gibt wirklich Lösungen, die wären einfach und wirtschaftlich umzusetzen, wie Photovoltaik. Der Strom könnte direkt genutzt werden, weil wir täglich eine hohe Grundlast haben. Die Beschaffungskosten von aus Photovoltaik generiertem Strom belaufen sich auf etwa 5-6 Cent. Wenn man den Strom bezieht, kostet er zwischen 20 und 30 Cent. Das ist nicht verständlich, warum das nicht gemacht wird.

Eine der Photovoltaikanlagen auf dem MW-Gebäude. Der größte Teil der Dachfläche ist jedoch ungenutzt.

Das Fraunhofer-Institut forscht aktuell an Photovoltaik-Folien für Fensterscheiben. Wäre das auch eine Idee, vor allem für den städtischen Bereich?

Sie müssen überlegen, dass viele Kosten mit der Anbindung des Systems verbunden sind. Man könnte eigentlich alle Wände damit zupflastern oder es beim Bau in Fenstern oder Dachziegeln integrieren. Das ist zwar nicht unser Forschungsbereich, aber da passiert viel. Aufwendig ist dann die Anbindung an das Netz mittels Regelung und Umrichter. So etwas nachträglich zu installieren ist immer schwierig. Ich betreibe zu Hause eine Photovoltaik-Anlage, die unterliegt einer 70%-Regelung. Das heißt, sie darf maximal
70% ihrer Nennlast erzeugen, bis sie abgeregelt wird. Das ist durchaus sinnvoll, um Spitzen im Netz zu vermeiden. Ich habe überlegt, diese abgeschnittene Spitze selbst zum Beispiel zur Wärmeerzeugung zu nutzen. Aber wenn Sie ausrechnen, was das System kosten darf, dann wird es leider traurig. Sie können aus der abgeregelten Strommenge und der Preisdifferenz zwischen Bezugspreis und Einspeisevergütung ausrechnen, was das System kosten darf und dann bleiben nur ein paar Euro zur Verfügung. Im Bestand ist das schwierig, aber bei neuen Anlagen muss man das einführen. Aus diesem Grund ist die Umsetzung nicht besonders schnell. Das System umzustellen kostet Zeit.

Kann man auch Kohle- oder Gaskraftwerke umzurüsten, damit sie einen niedrigeren CO2-Ausstoß haben?

Bei Gaskraftwerken ist es so, dass man in Richtung Wasserstoff oder SNG (Synthetic Natural Gas) denken kann. Wasserstoff kann man über die Elektrolyse aus Erneuerbaren erzeugen. Man wird auch in Zukunft auf chemische Energiespeicher wie Wasserstoff oder was daraus folgt, etwa synthetisches Erdgas oder Kraftstoffe zurückgreifen. Diese werden dann rückverstromt. Bei den Kohlekraftwerken hat man einen festen Brennstoff und naheliegend wäre daher die Verwendung von Biomasse in den Kraftwerken. Das wird auch schon gemacht, Biomasse ist ja aktuell der bedeutendste erneuerbare Energieträger in Deutschland. Nur der Einsatz von Biomasse in großen Anlagen wird in Deutschland politisch nicht unterstützt, sondern die Förderung ist eher auf kleine Anlagen bis 20 MW ausgerichtet. In anderen europäischen Ländern setzt man Biomasse auch in großen Kraftwerken ein, die einen deutlich höheren Wirkungsgrad aufweisen. Aber Biomasse ist nur begrenzt verfügbar und sollte deshalb nicht, wie es heute überwiegend geschieht, zur reinen Wärmeerzeugung, sondern für Kraft-Wärme-Kopplung oder Hochtemperatur-Anwendungen genutzt werden. Auch könnte man ausgediente Kohlekraftwerke zu Wärmespeicherkraftwerken umbauen und verschiedene Komponenten der Anlage nutzen. Aber dabei lassen sich nur Rückverstromungswirkungsgrade von ca. 40 % erreichen. Wenn man das Konzept von BioCORE betrachtet, ergibt sich hierbei rund 65 % Wirkungsgrad. Ein neues System bietet dementsprechend mehr Möglichkeiten.

Das ist allerdings erstmal mit höheren Kosten verbunden.

Das stimmt, aber eine Optimierung des Wirkungsgrads von 40 auf 65 % wird die Kosten rechtfertigen. Davon bin ich überzeugt.

Wenn ich mich richtig an die Vorlesung von Professor Karellas erinnere, war das Zufeuern von Biomasse zur Kohle in einem Kohlekraftwerk ein vielversprechender Ansatz zur Reduzierung von CO2-Emissionen.

Genau, das macht man in anderen Ländern. Aber es ist wahrscheinlich nicht möglich alle vorhandenen Kohlekraftwerke mit Biomasse zu betreiben. Dafür reicht die Menge an Biomasse nicht aus. Aber der Einsatz von Biomasse in Kohlekraftwerken halte ich für sinnvoller als der Einsatz zur reinen Wärmeerzeugung. Es wäre ein kostengünstiger und schneller Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen. Langfristig betrachtet sollte Biomasse als Kohlenstoffträger zur Herstellung von Treibstoffen aus erneuerbarem Wasserstoff verwendet werden.

Wie würden Sie es rechtfertigen, dass man für Biomasse sehr viel Fläche braucht, um daraus Energie zu erzeugen? Der Wirkungsgrad einer Pflanze ist im Vergleich zur Sonneneinstrahlung pro Fläche nicht allzu hoch.

Das würde ich gar nicht rechtfertigen (lacht). Wir wissen ja, dass Photovoltaik einen höheren Wirkungsgrad hat als eine Pflanze. Das ist so. Aber Biomasse ist chemische Energie. Wenn wir irgendwo Biomasse im Überfluss haben, dann kann man diese auch nutzen. Wie gesagt, Biomasse ist der derzeit der größte erneuerbare Energieträger und kann seinen Beitrag leisten, stellt aber definitiv nicht die alleinige Lösung dar.

Biomasse ist der derzeit der größte erneuerbare Energieträger und kann seinen Beitrag leisten, stellt aber definitiv nicht die alleinige Lösung dar.

Es ist wohl generell schwierig, eine alleinige Lösung zu finden.

Genau! Es wird so sein, dass sich das zukünftige Energiesystem aus einer Vielfalt von Technologien zusammensetzt und komplexer werden wird.

Es gibt auch Ansätze, mit Hilfe von Filteranlagen CO2 und Wasser aus der Luft zu gewinnen und damit synthetische Kraftstoffe herzustellen. Was halten Sie von dieser Idee?

Wir bei CleanTechCampus haben wir eine Initiative gestartet und versucht, die Forschung an der TUM auf dem Gebiet der Wasserstofferzeugung und der Herstellung von synthetischen Energieträgern mithilfe der Plattform „TUM Hydrogen and Power-to-X” zusammenzubringen und gemeinsam in Projekten zu forschen. Derzeit bemühen wir uns um einen großen Antrag mit der Chemie-Region Burghausen, weil man dort vor der Herausforderung steht, die Region zukünftig mit Erneuerbaren zu versorgen. Man benötigt Wasserstoff, der durch Elektrolyse erzeugt wird und erneuerbaren Kohlenstoff. Naheliegend dafür ist erstmal Biomasse, wenn es nachhaltig sein soll, weil der Kohlenstoff darin in einer hohen Konzentration vorliegt. Wenn Sie im Vergleich dazu die Luft betrachten, haben Sie nur eine niedrige CO2-Konzentration. Das bedeutet, der Energieaufwand, den Kohlenstoff aus der Luft zu extrahieren, ist sehr hoch. Der Energieaufwand hängt vom Unterschied des Partialdrucks, also vom Ausgangsniveau bis hin zum Umgebungsdruck, ab. Diesen Energieaufwand müssen Sie mindestens hineinstecken. In der Realität ist es ein Vielfaches davon. Der Energieaufwand ist also sehr hoch und solange es andere Möglichkeiten mit einem geringeren Energieaufwand gibt, sollten diese bevorzugt werden.

Das zukünftige Energiesystem wird sich aus einer Vielfalt von Technologien zusammensetzen und komplexer werden.

Welche Möglichkeiten wären das?

Man kann eine autarke, ortsunabhängige Biomasseverbrennungsanlage betreiben und hat im Abgas eine hohe CO2-Konzentration. Wenn man das nutzt, hätte man negative CO2-Emissionen und einen weitaus geringeren Energieaufwand. Wenn man irgendwann erneuerbare Energie im Überfluss hat, sieht das Bild wieder anders aus und dann könnte das direkte Abscheiden von CO2 aus der Luft mehr Sinn machen. Aber es ist sicherlich ein Baustein für die Zukunft, wenn man sich die Frage stellen wird, wo man den Kohlenstoff herbekommt. Es ist immer wieder spannend, die verschiedenen Akteure für Plattformen wie „TUM Hydrogen and Power-to-X” unter ein Dach zusammenzubringen. Forschende und insbesondere Professoren sind auch nicht immer leicht unter einem Dach zu vereinen. Da nehme ich mich selbst nicht aus (lacht). Es kommen viele verschiedene Vorstellungen und Richtungen zusammen, aber ich glaube es hilft uns, unsere Kräfte zu bündeln, um so Dinge voranzubringen. Das ist das Schöne an der Forschung. Diese Kooperationen, das Zusammenbringen von Leuten und wenn man sieht, dass etwas vorangeht.

Sind bei diesen internationalen Kooperationen besonders Forschende und Professor*innen der westlichen Industrieländer vertreten oder finden sich dort auch Forschende etwa aus Asien oder Südamerika, die sich in diesem Themenbereich engagieren?

Internationale Kooperationen bedeutet für uns überwiegend Projekte, finanziert durch die Europäische Union. Das ist der Standard und dementsprechend wirken vor allem europäische Kollegen mit. Es gibt auch bei EU-Förderungen auch Möglichkeiten mit Forschenden außerhalb von Europa zu kooperieren. Diese müssen aber dann eigene Forschungsgelder in die Kooperation einbringen, von daher ist das nicht immer ganz leicht. Es bildet sich trotzdem über die Jahre hinweg ein Netzwerk. Ich kenne Leute aus den USA sowie Australien oder Asien. Es kommen ja auch Doktorandinnen und Doktoranden nach München, aber ich fand es auch aufgrund der Mentalität immer schwieriger, mit Asien gemeinsame Themen zu entwickeln. Vor allem bei Industrieprojekten wird auch die Kooperation mit China nicht immer gerne gesehen, das macht es noch etwas schwieriger. In unserem neuen Projekt „Zukunftslabor Wasserstoff“ , das vom BMBF gefördert wird, kooperieren wir weltweit zu den Themen Wasserstoff, Elektrochemie, Vergasung mit Biomasse und biologische Synthesen. Hier sind Partner aus Polen, England, Niederlande, Kanada, Australien sowie auch Prof. Sieber aus Straubing beteiligt. Da wird der Austausch insofern gefördert, als dass beispielsweise Wissenschaftler hierher kommen und forschen. China ist aber nicht dabei. Warum weiß ich auch nicht.

Was sind Ihrer Meinung nach, abgesehen von Power-to-X, sinnvolle Energiespeicher?

Erstmal muss man das System möglichst groß machen, sodass der Ausgleich möglichst automatisch stattfindet. Je größer das System ist, desto weniger Speicherung wird benötigt. In Verbindung mit der Photovoltaik sind heute Batteriespeicher äußerst attraktiv. Die Speicherung von Wärme ist meist günstiger als die Speicherung von Strom. Bei der chemischen Speicherung, also Power-to-X sind die Verluste sehr hoch, aber die Energiedichte ist herausragend und somit auch als Langzeitspeicher geeignet. Dann macht es auch nichts, wenn der Wind mal nicht weht. Ich fände es auch nicht schlimm, wenn noch 2 % fossile Energieträger dabei sind. Man muss darüber im Klaren sein, dass der Aufwand, den man hat, um die letzten Prozente CO2-Emissionen zu vermeiden, immer größer wird. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir in die Größenordnung über 90 % Erneuerbare kommen und dass es nicht bedeutend ist, von 99 zu 100 % zu gelangen. Wenn das die Kosten sprengt, würde ich davon abweichen. Da bin ich pragmatisch.

Es ist interessant zu sehen, dass das Pareto-Prinzip auch auf dieses Thema zutreffend ist.

Man sieht ja bei den neuesten Studien, die für die Zukunft durchgeführt werden, dass sich dort die Ziele weiter erhöht haben. Also bis auf 100 %. Es gibt eigentlich keine Studie mehr, die unter 100 % erneuerbaren Energien liegt. Das heißt die Annahmen sind wieder das Ergebnis (lacht).

Welche Strategie sehen Sie für die Mobilität? Vorhin hatten Sie angesprochen, dass es speziell bei PKW Sinn ergibt, auf batterieelektrische Antriebe zu setzten.

Das ist die Effizienzkette. Bei der Studie für Bayern haben wir beilspielweise gesehen, dass man im Vergleich zu einem rein batterieelektrischen Antrieb fünfmal so viel Windkraft für einen Wasserstoff-Antrieb oder einem Antrieb mit synthetischem Kraftstoff aus Power-to-X braucht, um die gleiche Strecke zurückzulegen. Sprich, dort wo es möglich ist, ist die Elektromobilität zu bevorzugen. Das ist ja beim PKW-Bereich möglich. Kritischer ist es bei der Luftfahrt und dem Schwerverkehr. Wenn wir aber zwanzig Jahre weiter sind und ein System haben, dass eine Überkapazität an Erneuerbaren hat, dann mag es wieder anders aussehen. Es wird dann nur noch eine wirtschaftliche Frage sein, zu welchem Preis man den Wasserstoff produzieren kann. Oder eine Importfrage. Ich glaube auch nicht, dass uns Kuwait und Katar den Wasserstoff zum Selbstkostenpreis liefern werden. Die möchten auch noch ein paar Cents verdienen. Der Preis von Erdgas ist auch kein Produktions-, sondern ein Marktpreis. Man muss den Leuten vermitteln, billiger wird es nicht mehr. Das ist die Realität.

Man muss den Leuten vermitteln, billiger wird es nicht mehr. Das ist die Realität.

Schwer zu vermitteln ist es trotzdem.

Klar, aber man muss es doch tun. Ich finde Robert Habeck authentisch. Es kommt rüber, was er sagt, im Gegensatz zu anderen (lacht). Naja, Energie muss teurer werden. Das hatte man vor 30 Jahren schon gesagt.

Sind nicht eher die Steuern und andere Nebenkosten das Problem und nicht die Produktionskosten?

Als Endkunde zahlen Sie 30 Cent für eine kWh Strom. Die Marktpreise lagen jahrelang bei etwa 4 Cent. Jetzt sind es 10 Cent. Die Vollkosten für erneuerbaren Strom einschließlich der Speicherung liegen in der gleichen Größenordnung. Das andere sind Netzkosten, Vertriebskosten, Steuern und Umlagen. Da haben Sie schon Recht, aber zu den alten Marktpreisen kehren wir nicht zurück.

Rechtliche, aber auch sonstige Randbedingungen führen zu suboptimalen Lösungen. Genau da muss man ansetzen und außerhalb der Grenzen denken.

Ihrer Website zufolge ist ein Forschungsschwerpunkt Ihres Lehrstuhls thermochemische Energiespeicher. Könnten Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat und warum diese Technologie bislang weitgehend unbekannt ist?

Was man dabei macht, ist Wärmespeicherung. Die Wärme speichert man in einer chemischen Reaktion. Jede Reaktion benötigt in die eine Richtung Wärme, in der anderen wird Wärme frei. Wir nutzen das System mit Kalziumoxid. Das reagiert mit Wasserdampf und bildet Kalziumhydroxid. Dabei wird Wärme freigesetzt. Wenn man Wärme zuführt, erzeugt man wiederum Kalziumoxid und so kann man Energie speichern. Das könnten Sie ein Jahr speichern. Kalzium ist verfügbar und billig, weil es ein Massenprodukt ist. Das ist ein Vorteil. Der andere Vorteil ist, dass man keine Verluste hat und man hohe Temperaturen erzeugen kann. Bei Wasser als Speichermedium sind Temperaturen unter 100°C möglich. Unsere Spezialität ist die Hochtemperaturanwendung. Das System ist nicht ganz neu und das Problem ist die Reaktorentwicklung. Wir haben ein Wirbelschichtkonzept für eine große deutsche Chemiefirma und einen Anlagenbetreiber entwickelt, um einen größeren Reaktor zu bauen. Zukünftig soll es so funktionieren, dass man etwa überschüssige elektrische Energie dort einspeichert und man diese bei Bedarf in Wärme umsetzt. So kann man auch Erdgas einsparen. Die Randbedingungen sind aktuell noch günstiger für das System geworden. Aber man muss es fachgerecht integrieren. Es ist also keine alleinstehende Lösung, funktioniert aber sinnvoll im Industriepark. Viele Ideen sind gar nicht neu, sondern wurden nur noch nicht eingesetzt. Häufig ist eben genau diese Integration wichtig. Also: Wie fasst man es ein, damit es ein wirtschaftlicher Erfolg wird?

Gibt es vielleicht noch ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt, das Sie unseren Leserinnen und Lesern weitergeben wollen?

Uns ist es ein Anliegen, dass wir durch Kooperation versuchen, den CleanTechCampus, zu realisieren. Es ist wichtig, dass man vor Ort das Potential ausschöpft und wir haben viele Möglichkeiten. Wir können zwar keine Vollversorgung erreichen, aber das, was möglich ist, sollten wir auf jeden Fall machen. Bezüglich der Wärme müssen wir autark sein. Strom werden wir beziehen müssen und auch da gibt es viele Möglichkeiten. Das LRZ beispielsweise braucht Strom für ihre Computer und wird in Zukunft mehr und mehr Abwärme produzieren, die man nutzen sollte. Es geht also auch darum, die Grenzen zwischen den Systemen zu überwinden. Häufig ist es so, dass die TUM, Energiewende Garching und LRZ getrennt arbeiten. Da muss man kooperieren. Dem steht aber Rechtliches entgegen: Wenn man Energie austauscht, verkauft man Energie und wird zum Verkäufer. Also wird man wiederum anders besteuert. Die Aufgabe der Forschung ist es, auf die Möglichkeiten hinzuweisen und zu sagen, was sinnvoll ist. Dann ist zu prüfen, ob die optimale Lösung umsetzbar ist. Diese rechtlichen, aber auch sonstigen Randbedingungen führen zu suboptimalen Lösungen. Genau da muss man ansetzen und außerhalb der Grenzen denken. Dann sollte man auch schauen, wie man die Grenze überwinden kann.

Diese Grenzen sind oft menschengemacht. Der Apfel wird immer von oben nach unten fallen. Das ist ein physikalisches Gesetz und das kann man nicht ändern. Aber müsste man eine rechtlich Grenze nicht abwandeln können?

Viele Dinge, zum Beispiel die Funktionsweise des Marktes heutzutage, ist nur vorgegeben. Man kann die Marktmechanismen ändern. Dann muss geschaut werden, wie man die Randbedingungen gestaltet, um die Ausgangssituation zu verbessern. Aber trivial ist das auch nicht, sondern eine Herausforderung. Die Zeit ist günstig für die Energieforschung. Wenn die Energiepreise steigen, ist es auch für die Forschung interessanter, neue Lösungen zu realisieren. Es bleibt also spannend!

Vielen Dank für das Gespräch.

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