Vom wasserabweisenden Beton bis zu riesigen Pyramiden – Interview mit Professor Große

Was haben Beton mit Bakteriensporen, ein BMW Wendler und Pyramiden gemeinsam? Sie alle wurden mithilfe von zerstörungsfreier Prüfung von Professor Große untersucht. Dabei ist die Messtechnik besonders interessant und reicht vom Radar über Ultraschall bis hin zum Computertomographen. Professor Große gründete und baute 2010 den Lehrstuhl für Zerstörungsfreie Prüfung an der TUM auf. Mit zwei Mitarbeitenden fing er an, heute arbeiten über 20 Leute an dem Lehrstuhl und seine Forschung führt ihn zu den kuriosesten Untersuchungen.

Prof. Große: Herzlichen Dank erstmal, dass Sie es hier raus nach Pasing geschafft haben. Bald werden wir aber auch in Garching sein, denn der Lehrstuhl zieht in die alte Mensa. Einzelne Räume haben wir bereits, zum Beispiel für unser Hochschulpraktikum, aber für die anderen Räumlichkeiten beginnen jetzt die Bauarbeiten.

Reisswolf:  Vielen Dank für Ihre Einladung hierher! Zerstörungsfreie Prüfung ist nicht das erste, wenn man an Bauingenieurwesen oder Maschinenbau denkt. Sie haben auch eigentlich Geophysik studiert. Wie kommt man mit diesem Hintergrund zu zerstörungsfreier Prüfung?

Prof. Große: Auf Umwegen. Eigentlich sind Geophysik und zerstörungsfreie Prüfung sehr eng miteinander verwandt. Die Geophysiker wollen mit Messtechnik ins Erdinnere hineinschauen und das zerstörungsfrei – ähnlich wie in der Medizin. Die einzige Transferleistung ist die Übertragung auf kleinere Objekte. Aus diesem Grund sind die Techniken sehr leicht aus der Geophysik in die zerstörungsfreie Prüfung übertragbar. In beiden Bereichen benutzen wir im Wesentlichen ähnliche Verfahren, wie Ultraschall oder die Schallemissionsanalyse. Die CT- Röhre kennt man auch vom Arztbesuch. Eine zu Röntgenverfahren ähnliche Technik verwenden wir mittlerweile auch, allerdings mit kosmischen Strahlen. Und Ultraschall ist nichts Anderes als Seismik – nur mit einer anderen Wellenlänge. Wir verwenden heute also nach wie vor viele Techniken, die ursprünglich in der Geophysik oder Medizin entwickelt wurden.

Reisswolf:  Wie war dann ihr Lebensweg von der Geophysik hierher?

Prof. Große: Ich habe in Karlsruhe studiert. Ich war immer jemand, der gerne aktiv irgendwas gemessen hat und das eher ingenieurwissenschaftlich. Ein Jahr war ich beispielsweise in Kenia zur Untersuchung des ostafrikanischen Grabensystems. Deswegen war der Weg zu den Ingenieuren eigentlich doch ein ganz kurzer. Ich habe im Bauwesen promoviert und in eineinhalb Jahren habe ich wohl die kürzeste Promotion mit Summa cum Laude gemacht, die es in Stuttgart je gegeben hat. Bis ich habilitiert war, hat es allerdings neun Jahre gedauert. Meine Habilitation handelt von der Dauerüberwachung von Bauwerken, heute sagt man dazu Internet of Things. Der entwickelte autarke Sensorknoten hat mehrere Sensoren, mit denen man den Zustand eines Objekts, Schwingungen, Temperaturen und Dehnungen aufzeichnen konnte. Das ist heute natürlich kalter Kaffee, aber vor 20 Jahren war das total neu. Ich wurde nach Berkeley eingeladen, um das vorzustellen. Das fanden die sehr spannend, daher bin ich einige Zeit dort geblieben. Einige Kollegen aus Berkeley haben die Golden Gate Bridge mit Sensoren ausgestattet und das war eins der ersten Projekte mit solchen drahtlosen Sensorknoten.

Zurück in Deutschland habe ich die Materialprüfungsanstalt mit 400 Mitarbeitern, in der ich promoviert habe, als stellvertretender Leiter übernommen. Das war auch wieder neu, denn ich habe gemerkt, dass man mit so vielen Leuten eigentlich nur noch Manager ist. Deswegen bin ich dem Ruf zu einem neuen Lehrstuhl nach München gefolgt, um wieder Forschung zu betreiben. Den Lehrstuhl neu zu gründen war sehr interessant. Von Anfang an sollten Bauwesen und Maschinenwesen gleichberechtigt sein, denn meine Professur war eine der ersten mit Gleichberechtigung an zwei Fakultäten (Joint Appointment). Das Problem war, dass man irgendwo juristisch eine Zugehörigkeit braucht und das Bauwesen hat da dann anfangs mehr Interesse gehabt und auch mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt. Heute mache ich eher zu 60 % Maschinenbau und 30 % Bauwesen und der Rest sind Projekte wie zum Kooperationen mit dem Klinikum rechts der Isar.

Reisswolf: Welche Projekte haben Sie denn im Maschinenbau?

Prof. Große: Wir arbeiten intensiv mit den bekannten Münchner Firmen in den Bereichen Automotiv, Aeronautik und Turbinenbau zusammen sowie im Bereich der Windenergie. Aber ich habe auch ein Projekt mit Professor Lieleg, das etwas ungewöhnlicher ist. Ein gemeinsamer Doktorand arbeitet hier an der Hydrophobierung von Beton, um das Material wasserabweisend zu machen. Beton ist stark sprödbrechend und verhält sich im Wesentlichen wie eine Keramik. Deswegen wird Beton im Allgemeinen mit Stahlelementen zur Bewehrung versetzt. Das Problem ist aber, dass durch Risse Feuchtigkeit eindringen kann, was zusammen mit Chloriden Korrosionsprozesse anstößt. Der Kollege Lieleg kennt sich mit Bakterien gut aus und da haben wir festgestellt, dass der Beton komplett hydrophob, also wasserabweisend wird, wenn wir Bakterien oder Bakteriensporen in den Beton hineinmischen.

Reisswolf: Die Bakterien sind ja eigentlich etwas Lebendiges. Wie lässt sich das mit Beton kombinieren?

Prof. Große: Das ist die Frage, die immer gestellt wird. Wir sagen deswegen auch nicht Bakterienbeton sondern biomodifizierter Beton, damit die Leute nicht erschrecken. Mit Bakterien kann man sehr viel machen. Mein letztes große EU-Projekt war auch mit Bakterien und Beton, aber eine andere Technik. Die Bakterien, die man in Sporenform in den Beton hineinmischt, können sehr lange Zeit überleben. Solange der Beton ungebrochen ist, ist alles super. Aber im Laufe seines Lebens fängt er an, Risse zu entwickeln und dann kommen die Bakterien mit dem eingedrungenen Wasser in Kontakt und erwachen zum Leben. Bakterien sind extrem langlebig und wahrscheinlich verdanken wir das Leben auf der Erde Bakterien, die über Meteoriten zu uns kamen. Man mischt dem Beton dabei außer den Bakterien auch noch Hefe hinzu. Diese können sie dann essen und so scheiden sie dann Kalziumcarbonat aus. Kalziumcarbonat ist der Hauptbestandteil von Beton. Das heißt, die Bakterien produzieren ein bisschen Beton und verschließen damit Risse, was zu einem selbstheilenden Beton führt. Das Thema hat international für viel Furore gesorgt. Wir kennen Selbstheilung von Materialien aus anderen Bereichen, zum Beispiel Lackierungen oder auch unsere Haut und das möchte man bei anderen Materialien natürlich auch haben. Beton ist, ob man ihn nun mag oder nicht, das Material, was auf der Welt am meisten verbaut ist, noch vor Stahl und anderen künstlich hergestellten Materialien. Deshalb ist es so gut, wenn wir es verbessern und nachhaltiger machen können, denn so sparen wir an Beton. Das ist für mich insoweit ein ganz großes Anliegen, weil es im Hinblick auf den Klimawandel sehr schädlich ist. Bei der CO2-Produktion ist Beton ein ganz großer Baustein, daher trägt unser selbstheilender Beton zum Klimaschutz bei (https://youtu.be/rtlBe47k4DQ).

Sie merken, es macht mir unglaublich Spaß über meine Arbeit zu reden. Eigentlich ist es unverschämt es Arbeit zu nennen, es fühlt sich an wie ein Hobby.

Reisswolf: Was sind denn typische Anwendungen für die Zerstörungsfreie Prüfung?

Prof. Große: Wir arbeiten im Bereich der Orthopädie zum Beispiel an der Fragestellung, wie Knochen brechen und wie man da mit zerstörungsfreien Prüftechniken unterstützen kann, um zum Beispiel künstliches Knorpelgewebe zu entwickeln – eine ganz coole Sache. Letztes Jahr, als das mit Corona losging, ging es um das Drehen und Wenden von Patienten. Da gibt es viele Sachen, die man bei den verschiedensten Themen mit Ingenieursachverstand machen und helfen kann. Wir arbeiten auch im Bereich der Archäologie und wir machen viel in Kooperation mit Museen. So bin ich zum Beispiel Mitglied im Kuratorium vom Deutschen Museum, was eine Ehre ist, denn Ehrenvorsitzender ist der Bundespräsident und stellvertretende Ehrenvorsitzende ist die Bundeskanzlerin. Das macht echt Spaß!

Reisswolf: Was haben Sie denn vom Deutschen Museum untersucht?

Prof. Große: Wir untersuchen da Objekte wie den Fluggleiter von Otto Lilienthal – eine Ikone der Luftfahrt. Wir haben uns das Innere mit einem CT angeschaut, da das in einem sehr schlechten Zustand ist. Er hatte das Gestell aus Weidenholz gebaut und nach einem Bruch repariert, indem er eine Schäftung gemacht und sie verklebt hat. Anschließend hat er einen Faden als Sicherung herumgewickelt. Das alles konnte man von außen sehen. Was man aber nicht gesehen hat, und was wir im CT gefunden haben, sind die Nägel, die er als Nieten gesetzt hat. Wir haben lange mit den Kollegen von Airbus geredet und das Verblüffende ist, dass beim allerersten Luftfahrzeug bereits ähnliche Reperaturmethoden angewandt wurden, wie wir sie heute immer noch verwenden (https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/34180/).

Reisswolf: Haben Sie auch mit Kunstobjekten zu tun gehabt?

Prof. Große: Wir haben neulich eine Skulptur von Cy Twombly aus dem Museum Brandhorst gehabt. Das war wirklich cool! Von ihm gibt es dort u.a. die weiße Serie und die Bronzefiguren. Stücke aus der weißen Serie sehen oft aus wie Gips. Und von denen haben wir zwei untersucht, denn die Kuratoren wussten nicht, woraus die Skulpturen eigentlich gemacht waren. Bei der einen Figur haben wir gesehen, dass darin eine Whiskey-Kiste verbaut war. Von außen war das nicht zu erkennen, weil das eine dicke Schicht Gips verdeckt hat, aber im CT-Scan konnte man sogar die Aufschrift der Whiskey-Kiste sehen. Wir konnten feststellen, dass die Kiste von einer schottischen Destillerie war, von der es auch in New York einen einzigen Shop gab. Wir haben auch eine zweite Skulptur untersucht, die aus einem Stecken gemacht war. Es hat sich herausgestellt, dass dieser Stock ein Wäschestampfer war und wir konnten im Scan sogar den Firmennamen erkennen. Das ist wirklich faszinierend, wenn wir in alle möglichen Sachen hineinblicken können und das hat auch die Kuratorinnen des Museums fasziniert. Man konnte sehen, wie die Augen größer wurden.

Reisswolf: Was war ihre kurioseste Untersuchung?

Prof. Große: Es ist vorgekommen, dass wir bei der Polizei gelandet sind. Wir haben eine Kooperation mit dem Landeskriminalamt und dem Bundeskriminalamt. Wir helfen immer wieder, wenn Personen vermisst werden und haben im Zuge dessen schon bei der Aufklärung eines Mordfalls mitgeholfen. Das war ein Doppelmord in Franken an einem älteren Ehepaar, die von ihrem Sohn eingemauert worden sind. Das Ehepaar haben wir mithilfe von Radar gefunden. Ich muss sagen, das war schon ein bisschen gruselig. Wir mussten solange dableiben, bis die Leichen rausgeholt wurde, denn die Polizei wollte sichergehen, dass da nicht noch mehr ist. Ich kann Ihnen sagen, dass das nicht so gut gerochen hat. Aber es war eine spannende Erfahrung.

Reisswolf: Was war Ihre unerwartetste Entdeckung?

Prof. Große: Es ist eine Plattitüde, aber eigentlich haben wir fast jeden Tag eine unerwartete Entdeckung. Wenn man sich mit Biomechanik beschäftigt, vor allem damit, wie sich der Mensch bewegt, dann haben Sie plötzlich einen großen Respekt vor der Natur und verstehen, dass wir noch weit davon entfernt sind, gute Systeme zu bauen. Der Bewegungsapparat vom Menschen ist hoch effizient und die Knochen sind Leichtbau. Wir haben am Lehrstuhl über viele Jahre hinweg Leichtbauuntersuchungen gemacht. Das Thema Leichtbau ist eigentlich erst vor etwa zehn Jahren aufgekommen und da hat man dann alles mit Carbonfasern gemacht. Das Material ist fantastisch, aber wenn man sich dagegen einen Knochen anschaut – der heilt sich selber. Der Knochen ist in einer Richtung sehr steif, aber durch das Zusammenspiel mit den Muskeln ist der Mensch doch recht flexibel. Interessant ist die Fragestellung, wie die Muskeln an den Knochen angebunden werden. Einen Hart-Weich-Übergang können wir als Ingenieure noch nicht so wirklich gut abbilden. Da ist unendlich viel Potential, denn es ist lange nicht alles erforscht. Mit Inspiration aus der Bionik können wir neue Werkstoffe generieren, die spezielle Eigenschaften haben.

Im Übrigen unterscheide ich nicht zwischen Bauwesen, Maschinenbau, Biomechanik, Medizin, Archäologie und Windenergie. Für uns ist die Technik, mit denen man diese Materialien untersuchen kann, interessant. Dem Verfahren ist es egal, was ich untersuche. In der Hinsicht freue ich mich schon auf die School of Engineering and Design, denn da sieht man, dass alles wieder zusammenkommt. Ich habe mich auch sehr gerne für das Department of Materialsengineering gemeldet, da es ein Querschnittsdepartment ist.

Reisswolf: Das klingt auf jeden Fall logisch. Denn mit Material arbeiten alle Bereiche und es ist gut einen Querschnitt durch alle Bereiche zu haben.

Prof. Große: In dem Department sitzen Leute aus unterschiedlichen Welten. Zum Beispiel auch ein Kollege aus dem Holzbereich und das finde ich super. Holz ist ein sehr attraktives Material, denn es ist nachwachsend, hat eine sehr gute Ökobilanz, ist ein klassisches Leichtbaumaterial, zeigt eine sehr gute Bearbeitbarkeit und ist auch sehr dauerhaft, wenn man es richtig behandelt. In der Anfangsphase des Maschinenbaus war Holz noch essentielles Material, vor allen Dingen im Flugzeugbereich und im Automobilbau. Wir haben vor Kurzem den BMW Wendler von 1938 untersucht. Der hat als erster BMW eine stromlinienförmige Karosserie, aber die ganze Tragstruktur ist aus Holz. Die Tür des BMW war einen Spalt offen und man hat sie nicht mehr zubekommen. Der Vermutung nach hatte sich etwas verzogen, aber um sicher zu gehen, hätte man die Tür aufmachen müssen. Das war jedoch nicht möglich, da man befürchtete, die Tür nicht mehr schließen zu können. Deshalb musste das komplette Auto in den Computertomographen. Und da kommt mir mein Netzwerk zu Gute, denn wir konnten den weltgrößten Computertomographen des Fraunhofer-Instituts benutzen. Man sieht jede Schraube, sogar im Motor, an den man überhaupt nicht mehr drankommt. Das war für die Kuratoren des Deutschen Museums sehr hilfreich, denn so haben sie herausgefunden, dass dieser BMW komplett original ist. Es wurden nämlich 10 gefertigt, aber 12 sind auf dem Markt – die können also nicht alle original sein. Die Echtheit konnte man nachweisen, weil man gesehen hat, dass die Holzspante hinten gebrochen und geleimt wurde. Das konnte man wiederum auf einen Auffahrunfall zurückführen, welchen das Auto bei einem Rennen hatte. Später waren wir dann noch beteiligt, als vom Deutschen Museum ein komplettes Flugzeug in derselben CT-Anlage untersucht wurde (https://www.mw.tum.de/aktuelles/news-singleview/article/raketenflugzeug-me-163-im-xxl-ct-scanner/).  

Reisswolf: Was ist denn zurzeit das dominierende Forschungsthema in der Zerstörungsfreien Prüfung? Ist es wie bei vielen anderen die Additive Fertigung?

Prof. Große: Na klar springen wir auch auf den Zug der Additiven Fertigung auf. Eigentlich springen nicht wir auf, sondern wir werden auf den Zug raufgeholt. Im Maschinenbau sind die Standardprüfungen mit Messmitteln und Verfahren genormt, aber bei den modernen Materialien gibt es das nicht. Insbesondere kommen Firmen noch während der Entwicklung zu uns und so waren wir beispielsweise bei der Entwicklung vom i3 und i8 dabei. Wir helfen dann bei der Qualitätssicherung bei der additiven Fertigung mit, was natürlich auch für uns spannend ist. Hier sehen Sie das erste in Großserie gebaute additiv gefertigte Bauteil von Rolls Roys, der sogenannte GAKL. Das ist ein mechanisch relativ stark belastetes Bauteil im i8 am Verdeck. Das Bauteil ist sehr leicht und braucht wenig Material in der Herstellung und ist extrem dauerhaft, aber genau aus diesen Gründen ist es auch schwierig, das Bauteil zu prüfen. Eine Herausforderung ist auch die hohe Serienstückzahl.

Reisswolf: Gibt es Herausforderungen bei den Messmethoden wegen dem schichtweisen Aufbau bei additiver Fertigung?

Prof. Große: Ohne Ende… Wie viel Zeit haben Sie noch? (lacht) Wir haben ganz frisch ein Projekt mit Airbus beantragt. Da möchten wir Metalle für das Pulver für die additive Fertigung beim Laser powder bed fusion wiederverwenden. Ich finde das extrem clever. Wichtig ist hierbei, während jedem Schritt des Druckprozesses zu prüfen: Das Ausgangsmaterial, das Pulver und das Bauteil im Druckprozess. Wenn Sie aber bereits im Pulver Lufteinschlüsse, sogenannte Vakuolen haben, entstehen Aufschmelzbereiche, die für die Eigenschaften des fertigen Bauteils nicht gut sind. Auch der Druckprozess muss mit dem sogenannten condition monitoring überwacht werden. Hier kann viel passieren: Bei zu hoher Intensität werden die unteren Schichten wieder aufgeschmolzen oder es kann Spritzer geben. Das ist aber schwierig zu erforschen, weil bei der additiven Fertigung nur die Oberfläche sichtbar ist und wir den Aufschmelzeffekt im Bauteil nicht beobachten können.

Reisswolf: Was war das größte Objekt, das Sie jemals untersucht haben?

Prof. Große: Das größte Objekt ist natürlich die Pyramide. Oder das Ostafrikarift. Oder die Erde. Je nachdem, wie man das sehen möchte. Um als Geophysiker solche großen Gesteine zu untersuchen, nimmt man Sprengungen vor. Tatsächlich bin ich auch ausgebildeter Sprengmeister und die größte Sprengung, die ich gemacht habe, waren 1,3 t im Lake Victoria mit einer Auslage von 850 km. Wir konnten mithilfe von seismischen Messungen die Struktur des Grabens bis in eine Tiefe von 40 km aufklären.

Ich kann aber eigentlich bei der Größe noch eins draufsetzen, denn wir hatten ein Projekt zur Meteoritenforschung und das ist ein kosmisches Problem. Dazu haben wir mit Kollegen aus der Geologie kooperiert, die existierende Meteoritenkrater auf der Erde untersuchen. Bislang sind mehr als 180 entdeckt worden. Die Frage war immer, was wir hinsichtlich neuer Meteoriteneinschläge lernen können, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass die Erde noch einmal von einem sehr großen Meteoriten getroffen wird. Das haben wir im Labor nachgestellt und mit einer Hochgeschwindigkeitskanone mit 8 km pro Sekunde auf große Gesteinsblöcke geschossen. Das ist eine sehr hohe Geschwindigkeit, aber immer noch niedriger als die Geschwindigkeit eines richtigen Meteoriten (8-12 km pro Sekunde). Mit der Rissmesstechnik Schallemissionsanalyse haben wir alles sehr genau beobachten können, bis hin zu Rissen im Nanobereich.

Eines der größten und beeindruckendsten Objekte, an dem wir mitgemessen haben, war sicher die Cheops-Pyramide in Giseh. Mit einer Höhe von 140 m ist sie aus etwa 3 Millionen einzelnen Gesteinsblöcken (2,5 t pro Block) gebaut  worden und ein beeindruckendes Bauwerk (https://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/36417/). Außerdem sind Pyramiden extrem nachhaltige Bauwerke. Wenn man sich die Gesteinsblöcke anschaut, ist da kaum ein Spalt und das hat die Nachhaltigkeit deutlich verbessert. So gibt es weniger Angriffsfläche für schädigende Fluide und darin enthaltene Chloride oder Salze.

Mein Credo ist die Verfahrenskombination. Wenn man die unterschiedlichen Verfahren miteinander kombiniert, dann sieht man deutlich mehr.

Reisswolf: Welche Herausforderungen gab es bei der Pyramide? Messmethoden haben ihre Grenzen und die Pyramiden sind massiv. Wie tief konnten Sie messen?

Prof. Große: Die erste Herausforderung war die Zulassung für die Messung, denn die ägyptischen Behörden sind extrem restriktiv. Die ägyptischen Kollegen von der University of Kairo warten seit 12 Jahren auf die Genehmigung. Im November 2020 konnten wir endlich nach Ägypten reisen und wir durften überall in die Pyramide rein, also auch in die Bereiche, die für Touristen nicht offen sind (https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/iq-wissenschaft-und-forschung/cheops-pyramide-interview100.html). Die Schwierigkeit ist, dass man im Vorhinein kein Anschauungsobjekt hat, an dem man üben kann, denn die Dichte an Pyramiden in Deutschland ist bekanntlich sehr gering. Wir konnten nur im September in Walhalla bei Regensburg und an unterschiedlichen Burgen einige Testmessungen machen. Wir haben an dicken mittelalterlichen Burgmauern mehrere Verfahren getestet. Das ist natürlich nicht wirklich vergleichbar mit der Pyramide, aber wenigstens bestehen sie aus demselben Material, nämlich aus Kalkstein, und haben auch ähnliche Mächtigkeiten, sodass wir ein Gefühl bekommen konnten. Gerade erst haben wir die Nachricht bekommen, dass der zweite Projektantrag für Ägypten bewilligt wurde und wir planen, dieses Jahr nochmal hinzufahren. Mit dem Wissen aus der ersten Messkampagne können wir die Untersuchungen natürlich deutlich besser und effizienter machen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir die Datenqualität verbessern können. Wir haben eine gute Idee, wie wir weitermachen können, aber leider ist das mit meinen Ideen so, dass die immer so teuer sind. Da müssen wir mal schauen, wo wir noch ein bisschen Geld auftreiben können.

Reisswolf: Welche Messmethode fasziniert Sie denn am meisten? Könnten Sie sich da entscheiden?

Prof. Große: Mein Credo ist die Verfahrenskombination. Mit einem Verfahren sehen Sie immer nur einen Teilaspekt, also zum Beispiel bestimmte Materialeigenschaften wie einen Hohlraum, Riss, Bewährungselemente usw. Aber wenn man die unterschiedlichen Verfahren miteinander kombiniert, dann sieht man deutlich mehr. Die Messung wird dadurch auch zuverlässiger. Zerstörungsfreie Prüfung ist immer indirekt, denn man hat immer ein Verfahren, das mit dem Medium interagiert (z.B. eine elastische oder elektromagnetische Welle). So versucht man aus der Veränderung dieses Signals herauszufinden, wie es im Inneren aussieht und das ist nicht ganz einfach.

Es gibt natürlich ein paar Verfahren, die liegen mir ein bisschen mehr am Herzen als andere. Die Schallemissionsanalyse kenne ich schon seit meiner Promotion. Von der Infrarotthermographie bin ich ein Fan, weil das ein relativ einfaches Verfahren ist, mit der man auch aktiv in das Material reinschauen kann, indem ein Scheinwerfer das Objekt kurz anstrahlt. Dabei dringt eine Wärmewelle ein, die dann reflektiert. Ultraschall ist natürlich der Klassiker. Momentan ist bei uns am Lehrstuhl der Hype um die Computertomographie sehr groß, da wir seit einem halben Jahr einen Computertomographen haben, der uns von BMW gestiftet wurde. Eine andere Anlage haben wir gerade von der Firma Siemens geschenkt bekommen. Das ist ein Nano-CT, das sogar im sub-mikro-Bereich auflösen kann. Computertomographie ist ein wahnsinnig tolles Verfahren und nicht jeder hat einen Computertomographen, in den ein ganzes Flugzeug oder ein Auto reinpasst wie das Fraunhofer-Institut. Das wünsche ich mir zu Weihnachten!

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